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Jean-Marie Gustave Le Clézio
Identité nomade
Éditions Robert Laffont, Paris 2024, 136 Seiten
J. M. G. LeClézio definiert seine Identität als Nomade, angefangen mit den Bombennächte von Nizza, als im Zweiten Weltkrieg die Deutschen noch nicht abgezogen waren. Dann die Vitalität der Afrikaner und, was engagierte Literatur auf Mauritius bewirken kann.

Die Bombennächte von Nizza, als im Zweiten Weltkrieg die Deutschen noch nicht abgezogen waren.
Die Vitalität der Afrikaner.
Was engagierte Literatur auf Mauritius bewirken kann.

Le Clézio setzt an mit den Ängsten der Bombennächte im Zweiten Weltkrieg, und der Beobachtung, ein Kind sei wie ein Schwamm, es nehme absolut alles auf, was passiert: die Gerüchte, die Angst, der Tod. Ein Zwölfjähriger, der mit der Résistance Brücken sprengen wollte, damit die Deutschen nicht vorankämen, war dabei umgekommen. „Wenn wir die Schutzbunker verlassen durften, nahm uns unsere Mutter an einen Bach, wo wir baden konnten. Ich erinnere mich daran als eine Art Wunder, das Wasser des Flusses, die Sonne, das war im Sommer, in der Region von Nizza. Ich erinnere mich an köstliche Kartoffeln, die hatten wir nicht. Wir hatten nur Steckrüben und Sonnenblumen, die die Ernährung der Leute in dieser Zeit waren. Ich erinnere mich auch an die Ernten, mit der Sichel. Die, die nicht in den Krieg gezogen waren, die Frauen und die jungen, ernteten das Getreide mit der Hand. Ich erinnere mich, mit meiner Großmutter Weizen eingesammelt zu haben und ihn dann in einer Kaffeemühle gemahlen zu haben, um kleine Kuchen zu backen.“ Nizza sei eine frivole Stadt, und wenn ein Krieg ausbricht, funktionieren die Casinos und der Luxus nicht mehr, also dämmere die Stadt in einer schweren wirtschaftlichen Depression dahin.

Und dann der Umzug nach Afrika, wo der Vater als Sanitätsarzt der britischen Kolonialarmee in Nigeria tätig war, „eine Reise in ein Land des Überflusses. Wir haben diese Welt verlassen, um in ein Land zu segeln, wo wir barfuß herumlaufen konnten, durch den Wald, in die Savanne, wo wir das Leben entdecken konnten, die Insekten, die Schlangen, die Skorpione, und ab und an ein Pavian, der in der Ferne vorbeilief. Das war geradezu betörend. … Die afrikanischen Kinder spielten sehr wenig, ihre Tätigkeiten dienten meistens Lebenszwecken. Das heißt Holz für das Feuer suchen, beim Bauern helfen und reden. Sie redeten ganz viel. In Frankreich hatten die Kinder Spiele, auch Fußball. Was ich aber nicht konnte. Die afrikanischen Kinder schwammen im Fluss und rannten nicht hinter einem Ball her. Das war etwas anderes.“

Als Junge und als Jugendlicher erlebte er die Ungerechtigkeiten der Kolonisation. In Nigeria in Ketten gelegte Schwarze, in Marokko ein alter Mann, der mitten in der Wüste aus dem Bus gestoßen wurde, weil er nicht bezahlen konnte … Das alles habe sein Bewusstsein geprägt, schreibt Le Clézio.

In seinem Buch „Avers“ hatte er die Lebensbedingungen der vergessenen Jugendlichen, der Unerwünschten, geschildert, hier liefert er Beweggründe zu diesem Erzählband von 2022, aber er geht darüber hinaus: „Meine Identität ist dies: eine nomadische Identität. Man muss sich bewegen, um zu lernen. Ich reise nicht, um zu schreiben, was ich schreibe, sondern ich schreibe, um reisen zu können. Was ein bisschen etwas anderes ist. Wenn ich schreibe und meine Handlung in einem Land ansiedle, bin ich in der Regel nicht dort. Ich habe über Mauritius geschrieben, als ich in Paris lebte. Ich konnte „Wüste“ im Keller der spanischen Botschaft in Paris schreiben.“

Le Clézio erzählt von seinem politischen Engagement, das ja nur durch die Schriftstellerei stattfinde, dass er aber dabei doch Dinge bewirken und Erkenntnisse befördern könne. „Wenn die Literatur einen Nutzen hat, ist es nichts anderes als den Blick zu verändern, den man auf die Welt hat. Uns anzuregen zu sehen, was wir nicht wissen, was wir manchmal übergehen. Also traue ich mich, einen Begriff der Psychologie in die Literatur zu transportieren [extrospection], das wäre: Den Blick des anderen nehmen, um besser zu begreifen, was uns umgibt.“

Auf Mauritius war er an einem Projekt beteiligt, wo der Tanz als persönlichkeitsbildender Akt eine Rolle spielte. „Der Tanz ist ein außerordentliches Ausdrucksmittel, es gibt Gruppen, die Tanz machen, modernen Tanz, Breakdance, und andere, die den traditionellen Tanz machen, die herkömmlichen Tänze des Landes, in dem sie ihre Körper bewegen und dabei stolz sind, ihre Körper zu bewegen, sie selber zu sein, und in diesem Moment gewinnen sie an Sicherheit zu leben.“ So lädt uns der Autor ein, teilzunehmen an seiner Art, die Welt zu sehen und zu erleben.

ISBN 978-2-221-27263-3

https://www.lisez.com/livre-grand-format/identite-nomade-rentree-litteraire-janvier-2024/9782221272633