, Claudia Piñeiro Elena weiß Bescheid Union

Claudia Piñeiro erzählt die Geschichte einer von Parkinson schwer behinderten Frau, Elena, die dennoch immer wieder einen Sinn für Komik entfaltet, weil sie ihren Verstand beisammen gehalten hat und erfüllt ist von einem galligen Humor. Sie leidet unter dem Verlust der Welt in dem Maß, wie ihre Krankheit ihr den Kopf nach unten beugt. Sie kann außerdem ihre Gliedmaßen nur noch unter der Wirkung teurer Medikamente bewusst bewegen, nämlich wenn das Medikament im Blut zirkuliert. Allein den Zeitpunkt und den Zeitabschnitt kann sie steuern.

Wie sind Sie auf das Thema Parkinson als Romanstoff gekommen?

Bei ihrem Kampf durch ihr Leben wurde Elena bisher ständig betreut von ihrer Tochter Rita, aber die lebt nicht mehr. Alle sagen, Rita habe sich im Kirchturm erhängt, aber Elena will es nicht glauben. Der Zweifel an der Selbstmordthese ist das Motiv für ihr Handeln, eine Recherche, die uns zunächst an einen Krimi denken lässt.

Rita hatte sich und ihr Leben der Krankheit und der Pflege ihrer Mutter gewidmet mit diesem Gemisch aus Liebe und Grausamkeit, Takt und Grobheit, mit dem sie ihren Ekel vor dem Anblick der Krankheit niederhält und dem Menschen, hier der Mutter, hilft, Mensch zu sein. Was da so anrührt, ist zum Beispiel das Entsetzen, wie die eigene Mutter, dieser Teil der eigenen Persönlichkeit, zusammenfällt zu einem Bündel, das abgeputzt und gefüttert werden muss und dabei noch Forderungen stellt und Einsprüche erhebt. Claudia Piñeiro schildert damit zugleich, wie das Verhältnis einer Mutter zur Tochter, einer Tochter zur Mutter konfliktreich werden kann.

Um die Hintergründe von Ritas Tod herauszufinden, wendet sich Elena an Isabel, die sie und Rita seinerzeit von einer Abtreibung abgehalten hatten. Piñeiro beschreibt, wie resolut und selbstgewiss Tochter und Mutter die ihnen fremde Isabel beeinflussten in der Überzeugung, dass es zu Isabels Bestem sei. Es klingt ganz prima, wie die beiden damals das Mutterglück betont haben, und Isabel hatte ja auch in den folgenden Jahren immer glücklich wirkende Postkarten geschickt.

Doch als Elena schließlich als Haufen Elend bei Isabel sitzt und für den damaligen Dienst eine Gegenleistung erwartet, nämlich die Recherche, zu der sie selbst nicht mehr imstande ist, da muss sie sich die andere Version anhören. Isabel berichtet nun das Gegenteil, dass sie unterdrückt, in der Ehe vergewaltigt wurde, und noch viel schlimmere Seelennöte erlitten hat als eine Abtreibung hätten verursachen können. Dass Elena und Rita sie damals seelisch gebrochen haben: „Ihre Tochter kannte mich nicht, und sie hatte selbst nicht den Mut, Mutter zu werden, aber über meinen Körper hat sie bestimmt, als gehörte er ihr.“ – Isabels machtloser Hass ist die erschütternde Kehrseite dieser Geschichte. Das gibt dem Roman zuletzt eine vollkommen unerwartete Wendung.

Schon durch die Schilderung des Krankheitsbildes und die damit verbundenen körperlichen Nöte ist dieser Roman viel mehr als ein Kriminalroman. Außerdem ist die Psychologie der Figuren so angelegt, dass die Tragik dieser drei verunglückten Schicksale uns richtig packt. Alles knapp geschrieben, ohne literarischen Zierrat, dicht, packend und äußerst spannend.

Dass Sie an gesellschaftliche Konflikte rühren würden – war Ihnen das bei Beginn des Schreibens klar?

Zugleich rührt Claudia Piñeiro damit an einen empfindlichen Punkt unserer Gesellschaft, nämlich an die Abhängigkeit der Älteren von den Kindern, an die Beeinträchtigung des Lebens der Jungen durch die Älteren. In Europa mag das Problem noch nicht so virulent sein wie in Lateinamerika, aber die Entwicklung zu einer Gesellschaft der Alten erleben wir jetzt schon.

ISBN 3-293-00404-0
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