Bei ihrem Kampf durch ihr Leben wurde Elena bisher ständig betreut von ihrer
Tochter Rita, aber die lebt nicht mehr. Alle sagen, Rita habe sich im
Kirchturm erhängt, aber Elena will es nicht glauben. Der Zweifel an der
Selbstmordthese ist das Motiv für ihr Handeln, eine Recherche, die uns
zunächst an einen Krimi denken lässt.
Rita hatte sich und ihr Leben der Krankheit und der Pflege ihrer Mutter
gewidmet mit diesem Gemisch aus Liebe und Grausamkeit, Takt und Grobheit,
mit dem sie ihren Ekel vor dem Anblick der Krankheit niederhält und dem
Menschen, hier der Mutter, hilft, Mensch zu sein. Was da so anrührt, ist zum
Beispiel das Entsetzen, wie die eigene Mutter, dieser Teil der eigenen
Persönlichkeit, zusammenfällt zu einem Bündel, das abgeputzt und gefüttert
werden muss und dabei noch Forderungen stellt und Einsprüche erhebt. Claudia
Piñeiro schildert damit zugleich, wie das Verhältnis einer Mutter zur
Tochter, einer Tochter zur Mutter konfliktreich werden kann.
Um die Hintergründe von Ritas Tod herauszufinden, wendet sich Elena an
Isabel, die sie und Rita seinerzeit von einer Abtreibung abgehalten hatten.
Piñeiro beschreibt, wie resolut und selbstgewiss Tochter und Mutter die
ihnen fremde Isabel beeinflussten in der Überzeugung, dass es zu Isabels
Bestem sei. Es klingt ganz prima, wie die beiden damals das Mutterglück
betont haben, und Isabel hatte ja auch in den folgenden Jahren immer
glücklich wirkende Postkarten geschickt.
Doch als Elena schließlich als Haufen Elend bei Isabel sitzt und für den
damaligen Dienst eine Gegenleistung erwartet, nämlich die Recherche, zu der
sie selbst nicht mehr imstande ist, da muss sie sich die andere Version
anhören. Isabel berichtet nun das Gegenteil, dass sie unterdrückt, in der
Ehe vergewaltigt wurde, und noch viel schlimmere Seelennöte erlitten hat als
eine Abtreibung hätten verursachen können. Dass Elena und Rita sie damals
seelisch gebrochen haben: „Ihre Tochter kannte mich nicht, und sie hatte
selbst nicht den Mut, Mutter zu werden, aber über meinen Körper hat sie
bestimmt, als gehörte er ihr.“ – Isabels machtloser Hass ist die
erschütternde Kehrseite dieser Geschichte. Das gibt dem Roman zuletzt eine
vollkommen unerwartete Wendung.
Schon durch die Schilderung des Krankheitsbildes und die damit verbundenen
körperlichen Nöte ist dieser Roman viel mehr als ein Kriminalroman. Außerdem
ist die Psychologie der Figuren so angelegt, dass die Tragik dieser drei
verunglückten Schicksale uns richtig packt. Alles knapp geschrieben, ohne
literarischen Zierrat, dicht, packend und äußerst spannend.
Dass Sie an gesellschaftliche Konflikte rühren würden – war Ihnen das bei Beginn des Schreibens klar?
Zugleich rührt Claudia Piñeiro damit an einen empfindlichen Punkt unserer
Gesellschaft, nämlich an die Abhängigkeit der Älteren von den Kindern, an
die Beeinträchtigung des Lebens der Jungen durch die Älteren. In Europa mag
das Problem noch nicht so virulent sein wie in Lateinamerika, aber die
Entwicklung zu einer Gesellschaft der Alten erleben wir jetzt schon.
ISBN 3-293-00404-0
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