, Ursula März Für eine Nacht oder fürs ganze Leben. Fünf Dates Carl Hanser Verlag

In der Hauptsache ist Ursula März Literaturkritikerin. Als sie sich vornahm, ein Sachbuch über moderne Beziehungen und über die Suche und das Finden der Partner zu schreiben, hatte sie vielleicht eher daran gedacht, ein Bild unserer Zeit zu schaffen. Früher waren es Kontaktanzeigen oder Heiratsannoncen, die jeweils für einen Tag oder eine Woche örtlich beschränkt im Blatt standen, ganz früher gab es Vermittlungen im familiären Bereich oder im Rahmen von Orts- oder Glaubensgemeinschaft. Wer heutzutage einen Partner sucht, hat es leichter: Er kann bei einem entsprechenden Internetportal Mitglied werden oder eine Dating-Agentur anwählen, seine Daten und Wünsche hinterlegen und sich von überall her allerlei Angebote zustellen lassen. Diese Neuerung unserer Zivilisation, dieser virtuelle Umschlagplatz für Träume und Gefühle ist für jeden reizvoll, der auf andere Menschen neugierig ist. Ursula März wollte erzählen, wie es gehen kann, wenn man einen Partner sucht und im Internet auf Fremde stößt, die man dann mögen soll. Oder wie diese digitalen Partner-Börsen reale Lebensgemeinschaften und Familien entstehen lassen können.

Sollte das ein Sachbuch werden?

Dabei ist Ursula März auf eine Reihe von Phänomenen gestoßen, die sie vielleicht nicht überrascht haben, die aber viel ausgeprägter als erwartet zum modernen Verhalten bei der Partnersuche und -auswahl gehören. So der im Herzen schüchterne Grobian, der keine Frau über 60 Kilo will; oder der schwarzgelockte Beau, der attraktive Blondinen sammelt wie andere Briefmarken und doch nicht fündig wird; die resolute Postbeamtin, die zuerst gar nicht versteht, dass ein deutlich jüngerer Mann sich für sie entscheiden kann. Doch die Autorin März macht mehr: Über dem Erzählen von den anderen ergab es sich, dass sie auch sich selbst in Betracht ziehen musste, dass also zu den anderen fünf sie als die sechste hinzukommt, und dass sie doch einiges von sich und an sich zu entdecken hatte.

Wie kam es, dass Ihre Erzählstimme als sechste Person dazukommt?

Sie wechselt zwischen den Liebesvorstellungen der Gesprächspartner und denen ihrer Erzählerin, der sie aber ihren eignen Namen verleiht, so dass es alles ganz authentisch daherkommt. Es ergibt sich ein Panorama dessen, was heute unter Liebe und Partnerschaft verstanden wird. Wenn am Anfang möglicherweise eine soziologische oder gar enzyklopädische Idee gesteckt hat wie bei Stendhal mit seinem Buch „Von der Liebe“ oder bei dem Filmregisseur Michelangelo Antonioni mit seiner Filmepisode „Amore in città“, so hat Ursula März entdeckt, dass in diesem Thema noch mehr steckt.

Haben Sie am Ende sogar etwas über sich selbst entdeckt?

So wird das Buch erst recht interessant. Ursula März erzählt mit warmherziger Anteilnahme von den anderen und mit Humor und einer kleinen Prise Selbstironie von sich. Dabei erreicht sie die Genauigkeit, die uns, die Außenstehenden, erst dazu bringt, gespannt zu sein auf das, was sie berichtet oder überlegt.

Sind das nicht auch Selbstbetrachtungen im Spiegelbild der eigenen Reflexe auf das, was die fünf Gesprächspartner sagen oder meinen?

Manchmal klingt es sogar so, als erzähle Ursula März tatsächlich von sich, als wäre sie, anstelle einer möglicherweise mal geplanten Autobiographie, auf den Kunstgriff gekommen, andere Menschen zu schildern, um anhand von ihnen die eigene Welt zu zeigen.

Zum Beispiel der Hinweis auf den gesunden Haarwuchs, der doch für Perückenmacher interessant sein sollte – ist das eine Familien-Anekdote aus dem Hause März?

Egal, was sich die Teilnehmer einer Partnerbörse vorstellen oder wünschen, hier ist es ein überaus reales Vergnügen, das dies Buch auslöst: Ursula März schreibt so, dass wir ihr gerne folgen, sie überrascht mit manchem Einfall und sie begeistert mitunter, wenn sie den einen oder anderen Seelentatbestand so präzise schildert, wie andere das noch gar nicht hinbekommen haben.

ISBN 3-446-24907-3

http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/fuer-eine-nacht-oder-fuers-ganze-leben/978-3-446-24907-3/