
Die Geschichte des Amerikaners fand 1944 statt. Er war Kampfpilot und war im vorletzten Jahr des Zweiten Weltkriegs über dem italienischen Kleinstädtchen abgeschossen worden. Er hatte Glück und landete mit seinem Fallschirm in einem malerischen ummauerten Renaissancegarten, Privatbesitz der alteingesessenen Familie Bianchi, die sich bisher durch Charme und Klugheit mit allen Machthabern hat arrangieren können. Jetzt lebt hier Miss Molly, früher die englische Gouvernante der Kinder, die aber längst außer Haus sind. Und dann taucht der Pilot auf, kräftig und gesund und viel jünger als Miss Molly. Sie gewährt im Unterschlupf, niemand wird etwas von ihrem Gast erfahren. Außer Ferruccio, Bediensteter des Marchese Bianchi, der Miss Molly mit Nahrungsmitteln versorgt. Ihm fällt auf, dass sich ihr Appetit exponentiell erhöht hat. Er ahnt etwas, und als Miss Molly, weil unter der Republik Saló alle Ausländer in Gefahr geraten, untertauchen muss, da liefert er weiter Nahrungsmittel für Mortimer, den Piloten, der inzwischen eine enge Beziehung zu Miss Molly unterhalten hat.
Marco und Julia lassen sich alles erzählen. Doch am Tag darauf ist der amerikanische Hotelgast abgereist, das junge Liebespaar spekuliert nun alleine weiter, was an seiner Erzählung wahr sein und wie es weitergegangen sein könnte mit der Liebe des anderen Paars – und erlebt dabei die eigene Liebesbeziehung neu und ganz anders. Als werde die Liebe größer, wenn ein Liebespaar sich die Liebesgeschichte eines anderen Paars vorstellt und ausmalt.
Peter Henisch erzählt das alles aber nicht einfach als eine naive Liebesgeschichte. Er schreibt: „So könnte es angefangen haben“. Denn inzwischen, heute, sind Julia und Marco viel älter und erinnern sich mit einer gewissen Wehmut ihrer eigenen Geschichte: Wie hätte es denn mit uns weitergehen können?
Sie lassen Julia und Marco diese Geschichte weiterspinnen – sollen wir das unsererseits auch tun?
So haben wir also eine Liebesgeschichte in der Liebesgeschichte in den Händen, ein Roman, der sich als „echte Geschichte“ präsentiert. Ein echter Roman also?
Im Buch sagt einmal jemand: „Das ist doch alles gar nicht wahr“ – ist ein Roman vor allem eine Spielfläche, auf der Sie mit uns ein Spiel anfangen?
Peter Henisch erzählt diese Geschichte in der Geschichte leicht, mit einer deutlich spürbaren Liebe für Italien und das Italienische. Das Vergnügen, das er offenbar beim Spinnen dieser Erzählung hatte, überträgt sich schnell auf uns und wir nehmen gerne in Kauf, was uns ein bißchen zu sehr italienverliebt erscheint, um weiter zu verfolgen, wie sich die frische Liebe von Julia und Marco über die Jahre bis heute entwickelt hat. Auf Anhieb eine bezaubernde Geschichte. Nur eines noch: Warum Molly?
Bei dem Namen Molly denken wir schnell an Molly Bloom von James Joyce – ist das richtig?
ISBN 978-3-552-06225-2
https://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-552-06225-2