, Julian Barnes Lebensstufen Aus dem Englischen von Gertraude Krueger
Verlag Kiepenheuer & Witsch

Das Buch beginnt mit dem Satz: „Man bringt zwei Dinge zusammen, die vorher nicht zusammengebracht wurden, und die Welt hat sich verändert.“ So funktionieren Essays, die ja schon durch ihre Bezeichnung Versuche sind. Aber Julian Barnes legt verschiedene Dinge nebeneinander, die in der Reihung zunächst erscheinen wie lose gestreute Einzelheiten, die miteinander wohl zu tun haben, aber deren Zusammenhang belanglos ist: Er zählt einige mehr oder minder prominente Ballonfahrer des 19. Jahrhunderts auf und benennt jeweils Aufstiegs- und Ankunftsort, darunter Sarah Bernard.

Dann verdichtet Barnes seinen Blick auf den berühmt gewordenen ersten fliegenden Fotoreporter, Nadar, der zwei Dinge, die bisher nicht zusammengebracht worden waren, zusammenbrachte: Aeronautik und Fotographie. Im zweiten Teil, der Satz mit den nicht zusammengehörigen Dingen ist noch einmal vorgekommen und auch auf Personen angewendet worden, tritt Sarah Bernhard in den Vordergrund, die körperlich kleine, große Schauspielerin mit „einer bewundernswerten Eignung zur Auffälligkeit“, wie Barnes Henry James zitiert. Und: Auch in der Liebe können Dinge zusammentreffen, die man nicht unbedingt zusammenbringt: Magie, wie bei der Ballonfahrt, und Wahrheit, wie bei der Photographie. Es folgt die galante Liebesgeschichte des Ballonfahrt-Pioniers Fred Burnaby mit der Schauspielerin, die für den Ballonfahrer enttäuschend abrupt und nüchtern, für die Schauspielerin so wie jede andere auch endet.
Erst der dritte Teil führt zu Julian Barnes eigentlichem Anliegen bei diesem Buch: Es ist ein Trauerbuch um seine zu früh verstorbene Frau. Die Idee von den zwei Menschen, die zusammengeführt werden, und dass dann etwas Großes entstehen kann, ist zunächst einmal kitschig. Aber was dann folgt, ist das ganze Buch wert. Zwischen der fatalen Diagnose und dem Tod lagen 37 Tage, zu wenig, um dabei gefasst zu sein. Barnes trägt nun alle Erlebnisse und alle Wahrnehmungen zusammen, die er in der Zeit der ärgsten Trauer gemacht hat: Freunde, die aus Taktgefühl nicht darauf eingehen, wenn er den Namen seiner Frau nennt, und die er deshalb nicht mehr als Freunde betrachtet. Der Satz einer jüngeren Witwe: „Ich bin frei“ als Begleitmusik zu der Entdeckung, dass er nun überall Witwen und Witwer antrifft, die es für ihn in dieser Masse zuvor gar nicht gegeben hatte. Erzählungen von anderen unerwarteten Toden. Die Komplizenschaft der Leidtragenden und die Taktlosigkeit anderer Freunde, die gerne das Haus des plötzlich Alleinstehenden hüten wollen, während er in einer anderen Stadt Ablenkung sucht, weil dann ihr Hund in seinem Garten Auslauf hätte.
Forschergeist, Liebe und Trennung, Liebe und Tod, Einsamkeit, Selbstmitleid und dessen Erkenntnis und schließlich der Impuls, das alles niederzuschreiben und damit vielleicht zu überwinden, all das sind „Lebensstufen“. Julien Barnes’ Buch geht uns nah, manchem wird es vielleicht helfen, mit eigener Trauer oder Wut zurechtzukommen.

ISBN: 978-3-462-04727-1

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