Suhrkamp Verlag, Berlin 2023, 395 Seiten
Wie ein Jahrhundertgenie den Lauf der Welt beeinflusste. John von Neumann hätte ganz andere Dinge erfinden und entdecken können, es wurden aber die Wasserstoffbombe und der Computer.
Maschinenträume hat der Mensch womöglich schon immer gehabt: Spätestens im 18. Jahrhundert nahmen abstrakte Ideen unten den Händen des Erfinders Jacques de Vaucanson Gestalt an. Zugleich schwingt beim Gedanken an das Erschaffen menschenähnlicher Organismen immer die Frage nach der menschlichen Anmaßung mit: Man betritt gewissermaßen Gottes Privatgrund. Vermessenheit, Hybris, Größenwahn wären passende Stichworte, und der Titel des Buchs legt es nahe. Eine subtile Pointe: „Maniac“ war die Abkürzung John von Neumanns für seinen Prototypen heutiger Rechner: Mathematical Analyzer, Numerical Integrator and Computer.
Der chilenische Autor Benjamín Labatut hat nicht die Biografie eines Jahrhundertgenies geschrieben, auch nicht ein Sachbuch über Künstliche Intelligenz und erst recht keine theologische Abhandlung, aber dieses Buch enthält genau diese drei Elemente in einer Art und Weise, die aus jeweils verschiedenen Perspektiven Annäherungen an das anspruchsvolle Thema erlaubt. Er zieht eine Unzahl von Zeugnissen aus von Neumanns Umgebung heran, lässt sie allerdings ohne Belege, so dass er möglicherweise Äußerungen und Notate aus ganz anderen Zusammenhängen und mit Hilfe biografischer Anhaltspunkte extrapoliert hat. Es ist ein Kaleidoskop, aus dem sich eine Fiktion ergibt, als wäre es eine neue Form des historischen Romans. Womöglich ist das die beste Art, einen durch und durch überlegenen Menschen darzustellen, ohne in Hagiographie zu verfallen oder sich anzubiedern. Insofern hat Labatut einen geschickten Weg gewählt, ein Portrait dieses außergewöhnlichen Mannes zu verfassen, dessen Alltagsverhalten ungefähr so gewesen zu sein scheint, wie Milos Forman in seinem Film „Amadeus“ Tom Hulce als Mozart in Szene gesetzt hat: Höchste künstlerische bzw. intellektuelle Potenz gehen einher mit Späßen und abgeschmackten Witzen, die die anderen entweder nicht verstehen oder als unpassende Albernheiten empfinden.
Der Ort des Geschehens, wenn man das so nennen will, ist das sogenannte Manhattan-Projekt, an dem all die Sonderbegabten und Genies beteiligt waren, die aus Europa in die USA gelangten, zuerst wegen der Judenverfolgung, dann als begehrte Fachleute der NS-Rüstungsindustrie. Berühmt sind Einstein und Oppenheimer und Wernher von Braun, obwohl ohne John von Neumann die Entwicklung und die Ausarbeitung der Atomwissenschaft vielleicht gar nicht so möglich gewesen wäre. Mit von Neumanns Schulkamerad Eugene Wigner, seiner Frau Klara Dan, die zu den ersten Computerprogrammierinnen zählt, dem deutschen Spieltheoretiker Oskar Morgenstern bis hin zu Nils Barricelli, der computergenerierte Experimente auflegte, kommen Personen zu Wort, die erheblichen Anteil an der Entwicklung Künstlicher Intelligenz hatten. Sie erzählen Anekdoten, wie z. B. die von einem mechanischen Webstuhl im Elternhaus, der den Jungen John, in Ungarn noch Janos, auf Gedanken brachte, oder von den spektakulären Duellen in Schach und Go, bei denen anerkannte Großmeister sich den Rechnern geschlagen geben mussten. Da waren die Computer bereits soweit, gegen sich selbst zu spielen und dieserart sämtliche Züge einzuüben, um sie dann im Spiel „drauf“ zu haben. Gleichfalls muss die Künstliche Intelligenz, die den heutigen Alltag mitgestalten soll, jeweils alle Inhalte neu eingegeben bekommen - so versteht man, was es mit dem Konflikt der KI in Bezug auf Urheberrechte auf sich hat.
Ein Buch, das sich nicht einfach kategorisieren lässt, und das denen, die es lesen, nahebringt, was vielen Menschen noch völlig fern ist: Das Wesen künstlich hergestellter Intelligenz.
ISBN 978-3-518-43117-7