, Margriet de Moor Mélodie d’amour Roman, übersetzt aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen
Carl Hanser Verlag

Das klingt wie ein Schlagertitel: „Mélodie d’amour“, man möchte an Weichzeichner denken, an ein bißchen zu viel liebliche Gefühligkeit – aber es ist davon nichts darin. Margriet de Moor erzählt die Geschichte eines Quintetts von Frauen, die um einen Mann und seinen Sohn kreisen und dabei auch ins Extreme gehen können. Der Mann: Gustaaf, macht nach dem Zweiten Weltkrieg in Holland Karriere mit einer Saugbaggertechnik, die ermöglicht, dem Meer noch mehr festen Grund abzutrotzen. Seine Frau ist Atie, mit ihr hat er seine holländische Wirtschafts-Wunder-Familie gegründet, und sie hat er dann für eine jüngere verlassen.
Der Roman setzt ein, als Atie gestorben ist und Gustaaf versucht, ihren letzten Willen zu umgehen, nämlich sie nie mehr zu sehen zu bekommen. Er schafft es, seine Söhne dazu zu bringen, den Sarg in einer grotesken Szene vor das Haus zu tragen, wo Gustaaf noch einmal in Aties Gesicht blicken und Abschied nehmen kann.
Atie hatte das später verfügt. Aber als ihr Mann sich von ihr schnöde abwandte, hatte sie sich noch fast alles gefallen lassen, gab sich sogar Mühe, die „Neue“ zu mögen, alles in Ordnung zu finden, den Konflikt unterm Teppich zu halten. Sie verlor den Verstand vor lauter Selbstverleugnung, als ihr Mann sie im Stich ließ,

Atie lässt sich das alles von ihrem Mann gefallen, das ist erstaunlich.

Der jüngste Sohn von Atie und Gustaaf, Luuk, erlebte als Jugendlicher noch mit, wie die Ehe der Eltern zerbrach, und er scheint ins Leben mitgenommen zu haben, was er da beobachtet hat: Seine Frau Myrte ist eine Dulderin, während er munter seinen Gelüsten folgt. So gerät er an Cindy, ein Mensch, der alles, was er sieht, als Bestätigung seiner momentanen Ansichten versteht. Cindy versteht die Welt mehr oder minder ausschließlich bezogen auf sich selbst. Der Himmel arbeitet für sie, die Stimmungen der anderen arbeiten für sie. Sie deutet alles zu ihren Gunsten, was es auch sei, und verfolgt ihren Schwarm Luuk als unerbittliche Stalkerin. Eine Form von possessivem Autismus, wenn es das gibt.
Und erst recht Roselynde: Sie ist eine Frau unserer Zeit, und sie liebt ihren Bruder so ausschließlich, dass sie dessen Freundin ins Verderben führt. Was erwartet Luuk, als er auf Roselinde trifft? Ist das die reine Liebe?

Cindy ist sehr vereinnahmend, da kann einem Angst werden.

Eine Stalkerin, eine Betrogene, die den Halt verliert, eine Dulderin, eine junge Frau, die, ohne dabei aktiv zu sein, den älteren Ehemann aus seiner Ehe herausbringt – es sind besondere Persönlichkeiten, die Margriet de Moor in ihrem Buch von der Liebe auftreten lässt.

Was sind das für Frauen, was für Charaktere? Geht so die Mélodie d’amour?

Die Frauen, die Margriet de Moor hier zusammengebracht hat, verkörpern einerseits ganz plausible, wenn auch nicht unbedingt normale Liebes- und Ehekonzepte. Die Geschichte des Romans geht von den 1960er Jahren bis in unsere Zeit.

Mélodie d’amour – hat sich diese Melodie in den letzten Jahrzehnten, über die sich die Handlung des Buch erstreckt, verändert?

Ob sich die Mélodie d'amour in Holland verändert hat in dieser Zeit, ob das ein Thema für Soziologen ist oder nicht, ob die Liebe die Hauptfigur des Buchs ist anstelle seiner Frauenfiguren –Margriet de Moor lässt es in der Schwebe. Mal können wir mit unserer Kenntnis der Welt und der Menschen ergänzen, was offen bleibt, mal gibt sie uns einen Wink, was für Menschen da zu erleben sind, und welcher Zeit sie angehören. So wird uns eine zunächst fremde Welt eröffnet, in die wir mit Neugierde eintreten, und in der wir gern und gespannt verweilen.

ISBN 978-3-446-24478-8

http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-24478-8