Hanser Verlag, München 2023, 141 Seiten
Der Hölle entkommen
Cordelia Edvardson erzählt, wie sie als Jugendliche, fast noch ein Kind,
in ein Vernichtungslager der Nazis geschafft wurde.
In seinem Nachwort schreibt Daniel Kehlmann, er habe anlässlich der Entgegennahme des Elisabeth-Langgässer-Preises in den Werken dieser mehr oder minder in den Hintergrund gelangten Autorin gelesen, sei damit nicht zurechtgekommen, habe aber dabei das Buch ihrer Tochter entdeckt: Cordelia Edvardson. Elisabeth Langgässer hatte einen jüdischen Vater, Cordelia war das Kind eines verheirateten Mannes, der ebenfalls jüdisch war. Das hieß für jemanden, der 1929 in München zur Welt gekommen ist, dass sein Leben in Gefahr war. Zu der nationalsozialistischen Einstufung als Jüdin kam das Stigma hinzu, ein uneheliches Kind zu sein, was in unserer bürgerlichen Gesellschaft erst seit wenigen Jahrzehnten nicht mehr diskriminierend ist. Das Kind Cordelia spürte die Vorbehalte, wusste aber nicht, was genau an ihr falsch war. Dieses Grundgefühl, an irgendwas Bedeutendem schuld zu sein, bestimmte die Selbstwahrnehmung des Kindes. Als dann, 1943, die Mutter unter Druck gesetzt wurde, ihre Tochter zum Abtransport freizugeben, und Cordelia in einem kindlichen Verantwortungsempfinden zustimmte, um die Mutter zu retten, kam die Vierzehnjährige nach Theresienstadt, später nach Auschwitz.
Edvardson erzählt von dieser Hölle, in der die Opfer, aller Menschlichkeit und Würde beraubt, ihrerseits Teil der Hölle werden. Daniel Kehlmann nennt die Lektüre furchtbar, und doch muss man es lesen, obwohl es so furchtbar ist.
Nach der Befreiung wurde sie von anderen Überlebenden immer noch extra angefeindet, weil sie deutsch war. Schließlich wurde sie von einer schwedischen Familie aufgenommen, die dem Schicksal, das dieses Kind mit sich trug, kaum gewachsen war. Nur eine Außenseiterin, eine jugendliche Alkoholikerin, schaffte es, ihr näherzukommen und ihr dabei zu helfen, den Panzer der Traumatisierung wenigstens so weit zu öffnen, dass sie ein pragmatisch gestaltetes Leben führen konnte. Und als wollte die Hölle sie nicht loslassen, nahm ihre Mutter wieder mit ihr Kontakt auf, um sich Informationen abzuholen für ein Buch, das sie schreiben wollte und das authentisch sein sollte.
Cordelia Edvardson hat ihre Erzählung vielleicht genutzt, um das zu verarbeiten, auf jeden Fall hat sie später mit all den Traumata, verarbeitet und unverarbeitet, ein „normales“ Leben führen können. Das schmale Buch, das jetzt mit Kehlmanns Nachwort neu aufgelegt wurde, ist eine Pflichtlektüre für Menschen, die sich für Deutschland und seine Geschichte interessieren.
ISBN 978-3-446-27756-4