, Per Olov Enquist Das Buch der Gleichnisse. Ein Liebesroman übersetzt aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt
Carl Hanser Verlag

Per Olov Enquist hat uns schon in seinen letzten Büchern teilhaben lassen an den Dingen und Fragen, die ihn anscheinend in seinem Innersten beschäftigen, die er auf eine unnachahmliche Art untersucht, nämlich unsicher, stets von Neuem infragestellend, und deren Bedeutung für uns noch nicht einmal in dem liegen muss, was inhaltlich zum Thema wird.

Vielmehr ist es genau diese unsichere, gleichsam tastende Vorgehensweise, mit der Enquist an das herangeht, was er sich selbst, und dann auch uns, erklären will. In seinem „Buch der Gleichnisse“ greift er sehr weit zurück in seine eigene Jugend, als er noch quasi gefangen war in der bigotten protestantischen Welt seiner Familie, wo allüberall Zwänge herrschten, wo aber auch schon mal eine Tante, die anschließend für „unmöglich“ befunden wurde, sich auflehnte gegen einen Gott, der sowieso nichts für sie tue. In einer solchen Atmosphäre begegnet der 15-jährige Junge einer Frau von 51 Jahren, sie empfindet offenbar eine starke Verlockung und verführt ihn. Für ihn ist es das große Erlebnis von Selbsterfahrung, vom Glück eines Moments, von Erlösung in einem beinah religiösen Sinn. Er verspricht, darüber nie zu sprechen, er vergisst es aber nicht, und in Momenten seelischer Not erinnert er sich und sehnt sich zurück zu diesem Glück. Mit den Jahren gewinnt diese kurze Liebe sogar immer mehr Kraft, wie in den Rückblicken des Erzählers deutlich wird. Nach neun Jahren erreicht er, dass sie sich noch einmal treffen, an neutralem Ort, einem Bahnsteig. Er ist inzwischen Hochspringer, hat bei 1,95 gerissen und wurde bloß vierter, sie ist 60 Jahre alt, hat immer noch schöne Augen und braunes Haar. Er erkennt, dass, wenn es für ihn eine Erweckung war, ein Geschmack von Freiheit, dann war es für sie eine Erfüllung gewesen, an die sie nicht mehr rühren möchte, um sie nicht zu gefährden. Das Treffen verläuft distanziert und ist dann doch überwältigend emotional. Dabei lassen der Titel und der Anfang des Buchs etwas ganz anderes erwarten. Da sehen wir den Erzähler als Erwachsenen, der längst irgendwo anders in der Welt lebt und der nur gelegentlich in seinem Heimatdorf erscheint, und der sich erinnert an Hinterlassenschaften seines Vaters, ein Heft, aus dem die Mutter vielleicht ein paar Seiten herausgerissen hat, deren Inhalt ihr nicht passte. Die Kapitel betitelt er als Gleichnisse, aber es werden nicht Gleichnisse, wie wir sie kennen, es sind mehr Bilder, Impressionen aus dem Leben eines Menschen, der sich emanzipiert von den Zwängen seiner Herkunft, ohne das mit Gewalt oder Heftigkeit zu tun. So leitet er uns an, die Welt, die uns umgibt und aus der wir stammen, vorsichtig tastend und gleichsam schnuppernd zu erkunden und am Ende vielleicht neu zu erkennen.

978-3-446-24330-9

http://www.hanser-literaturverlage.de/buecher/buch.html?isbn=978-3-446-24330-9