Hanser Verlag, München 2023, 224 Seiten
Liebe auf den ersten Blick trifft auf Widerstand Castle Freeman ist ein Meister ironisch distanzierten Erzählens. Auch wenn es um echte Gefühle geht.
Wem es jemals geschehen ist, länger als eine halbe Minute lang einer TV-Sitcom zu folgen, weil die Dialoge schlagfertig schnell funktionierten, die oder der wird auch hier Freude haben. Für die Lakonie seiner Figuren, ihren trockenen Witz und für die Ellipsen ihrer Rede ist Castle Freeman viel gelobt worden. Der Übersetzer wird das Seine dazu beigetragen haben. Je Kapitel spricht jeweils eine eigene Stimme, deren Zuordnung erst mit dem Verlauf der Handlung eindeutig wird. Das schafft Unmittelbarkeit und bewirkt, dass Leserinnen und Leser die ironischen Pointen mitunter schneller erfassen als die Figuren. Sprüche, die dem Autor als machomäßig oder altbacken ausgelegt werden könnten, legt er sehr geschickt seinen Figuren in den Mund: Es sind eben die, die so reden. Und ihre Auffassungen entsprechen dem Schauplatz, der neu-englischen Provinz von Vermont, einer Welt hinter den Wäldern, wo Sägewerke schon Industrie sind.
Die Männer - vor allem die - sind die Gelassenheit selbst, zufrieden mit sich, ihrer Welt und ihrem Dasein, ohne Neid oder besondere Ziele im Leben. Conny beschreibt Cliff dementsprechend: „So viel von dem, was er ist, kommt von dem, was er nicht ist. Zum Beispiel ehrgeizig.“ Cliff und Conny sind ein Paar und ihre Eltern lebten auch schon hier. Port, eigentlich Porter Conway, ist vor Jahren hierher gekommen. Darum gilt er als Zugezogener.
Als Port für eine Volkszählung unterwegs ist, wird er barsch abgewiesen vom Eigentümer des Sägewerks und von dessen Tochter Lucy, die ihm den Stinkefinger zeigt. Port ist beeindruckt. Er findet Lucy atemberaubend schön, aber ein Teenager ist erstmal nichts für ihn. Lucy ist die Halbschwester von Conny, und Cliff ist befreundet mit Port. Ports Erkundigungen über Lucy erscheinen zunächst ganz beiläufig, erst mit den Jahren werden seine Fragen genauer. Ihr Interesse an ihm ist gleich null. Allenfalls stört sie an Port, dass er sie - scheinbar - nicht beachtet. So behalten die beiden einander stetig im Auge, er verliebt, sie ablehnend.
Der Autor gibt Port Gelegenheit, sich zu beweisen: ein Autounfall, wo er ihr erste Hilfe leistet, ein Haus, das er ihr vermietet, ein Feuer, aus dem er sie rettet. Hier endlich kommt der Sheriff zu seinem Auftritt, indem er Kurt, den Mann an Lucys Seite, aus dem Spiel nimmt, denn der hat sich strafbar gemacht. Da wird es zum Ende hin so spannend wie in Freemans bisherigen Romanen. Was aber wichtiger ist, ist der Ton, das Leichte in der Art des Erzählens, die Gelassenheit der Figuren, die sich überträgt. Herrlicher Lesestoff.
ISBN 978-3-446-27753-3
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/castle-freeman-treue-seele-9783446277533-t-3988