, Juan Gabriel Vázquez Die Reputation Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange.
Verlag Schöffling &Co

Juan Gabriel Vázquez hatte seinen ersten fulminanten Auftritt in der deutschsprachigen Literaturszene vor sechs Jahren mit dem Roman „Die Informanten“, der Geschichte einer ergreifenden Vater-Sohn-Beziehung, in deren Verlauf das Bild des Vaters vor dem Sohn kollabiert. Zugleich hatte dieser Roman mit der Rolle der Deutschen in Kolumbien zu tun, den Verfolgten der Nazis, den später hinzugekommenen geflüchteten Nazis und deren Verfolgern sowie mit der Politik der USA, alle Deutschen in Kolumbien unter Verdacht zu stellen und pauschal zu diskriminieren. In seinem neuen schmalen Roman geht es um den Ruhm, die Eitelkeit und die Fallen, in die man tappt, wenn man sich seiner selbst zu sicher ist.

Vordergründig geht es um einen kolumbianischen Karikaturisten im Moment seines größten Ruhms. Sogar die Schuhputzer kennen Javier Mallarino, während sein Vorbild, ein Karikaturist der 1920er und 30er Jahre, der es zur moralischen Instanz seines Landes gebracht hatte, mittlerweile unbekannt ist. Scheinbar ein rein kolumbianisches Thema, aber nach und nach bemerken wir, dass das alles auch für uns Gültigkeit besitzt.

Es geht um das eigene Ansehen, die Glaubwürdigkeit, das Prestige, wie der Titel schon sagt: „Die Reputation“. Der Geehrte hat als Karikaturist eine gewisse Macht, das Ansehen anderer zu verfärben oder sogar zu zerstören. Er erlebt gerade einen Moment von vollkommenem Glück, seine geschiedene Ex-Frau findet wieder zu ihm, im Beruf ist er auf einem Höhepunkt. Die Handlung: Mallarino wird geehrt mit dem großen Kulturpreis des Landes. Er ist eine Institution, er verkörpert eine Art Gewissensinstanz des politischen Lebens der Nation. Bei der Verleihungszeremonie werden Bilder seiner Zeichnungen, aber auch Bilder und Zeichnungen projiziert, die er in seinem außerhalb der Stadt, nahe den Bergen des Páramo gelegenen Haus an den Wänden hängen hat. Am Tag nach der Verleihung spricht bei ihm eine jüngere Frau vor, Samanta Leal, 35. Er durchschaut schon bald, dass die Interviewanfrage nur vorgeschoben war. Doch bevor er sich allzuviel ausmalen kann, was eine so viel jüngere Frau von ihm wohl wollen könnte, enthüllt sie ihm eine ganz andere Geschichte. Damals, vor achtundzwanzig Jahren, 1982, als sie ein Kind war und Freundin von Beatriz, der Tochter des Karikaturisten, war sie deren Gast bei der Einweihung des Hauses, in dem sie nun die Bilder wiedersieht, die sie damals gesehen, in der Zwischenzeit aber vergessenen hatte und jetzt in der Projektion bei der Preisverleihung wiedersah und – befremdet – wiedererkannte.

Der Karikaturist, der schon die ganze Zeit über, veranlasst durch die Preisverleihung, sein Leben Revue passieren ließ, und sein irritierender Gast leisten nun eine schmerzliche und zugleich erhellende Erinnerungsarbeit. Die junge Frau, die damals als Kind mit der Tochter des Hauses die halb leer getrunkenen Gläser leerte, bis beide im Koma lagen, erinnert sich mit Hilfe des Karikaturisten daran, dass ein anderer Gast, ein unangenehmer Politiker, sie damals möglicherweise sexuell missbraucht habe. Mallarino strafte den Politiker mit einer Karikatur, die das Ende von dessen Karriere bewirkte. Aber die Fakten jenes abends kennt niemand so richtig. Die Erinnerung des Mädchens verblasste, weil die Eltern umzogen, sie auf eine andere Schule gehen und so durch eine neue Umgebung das Alte abstreifen ließen.

Hat der Karikaturist einen unfairen Rufmord begangen – dann wäre der große Preis für ihn unberechtigt. Tut es der jungen Frau gut, ein Geheimnis offenzulegen, dass ihr nur Schmerzen bereitet („Bescheuert ist nicht, dass man etwas nicht weiß. Nicht wissen, ob man etwas wissen will, das ist das Bescheuerte. Oder ob ich vorher besser dran war.“). Ist es sinnvoll, nach dem Selbstmord des Politikers dessen Witwe aufzusuchen und sich womöglich Dinge sagen zu lassen, die das eigene Ansehen zerstören? Der verehrte Karikaturist der 1920er Jahre hatte sich aus nicht nachvollziehbaren Gründen umgebracht. Bei Mallarino wären die Gründe auch nicht erkennbar. Er denkt darüber nach. Samanta geht mit dem Vergangenen anders um. Sie ist es, die die Vergangenheitserforschung abbricht: „Was ist, wenn ich es lieber wieder vergesse? Habe ich nicht das Recht dazu?“

Auf knapp 180 Seiten entfaltet Gabriel Vásquez das Thema Ansehen, „Die Reputation“, und darum herum breitet er die Fragen von Macht, Eitelkeit, Selbsttäuschung und Schuld auf eine universal gültige und literarisch derart spannend gestaltete (und hervorragend übersetzte) Art und Weise aus, wie es nur den allerwenigsten gelingen kann.

ISBN: 978-3-89561-009-7

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