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Margarita García Robayo
Das Paket
Roman, aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz
dtv, München 2024, 240 Seiten
Eine junge Frau hat sich von ihrer Familie abgesetzt. Der Kontakt zur Schwester ist sporadisch: Ab und zu trifft ein Paket ein. An die Mutter denkt sie kaum noch, eine Erleichterung. Doch dann kommt eines Tages ein besonders großes Paket: Ist es eine Metapher für die Lasten des Lebens, oder ist es der magische Realismus in einer neuen Generation?

Eine junge Frau zieht weit weg von zuhause.
In Margarita García Robayos Welt ist nichts und niemand zuverlässig - bis auf Ágata, die streunende Katze, die am Ende verschwunden ist.
Und dann kommt ein Paket, so groß, als enthielte es die gesamte Last des Lebens.

Eine junge Kolumbianerin hat sich abgesetzt von ihrer Familie. Das sind: ihre Schwester und ihre Mutter. Die Schwester schickt ihr immer mal ein Paket, von der Mutter möchte sie nichts erfahren. „Manchmal wüsste ich gern, was aus dem Haus geworden ist, in dem wir als Kinder gelebt haben, aber ich frage nicht nach, weil die Antwort mir Informationen liefern könnte, auf die ich lieber verzichte“, liest man gleich zu Anfang. Ihre Mutter ist ein Mensch, der sich gerne entzieht, was für kleine Kinder natürlich katastrophal ist und, als Schutz, zu eigensinnigem Verhalten führt. Aber auch von der Schwester möchte die Erzählerin nicht mehr viel hören, nimmt es aber hin, dass sie von ihr immer wieder ein Paket geschickt bekommt. Sie möchte das nicht ablehnen, weil das übelgenommen würde. Aber diese Pakete, äußerlich perfekt verpackt, enthalten oft verdorbene Lebensmittel - als wäre das ein Bild. Das Buch beginnt in dem Moment, als die Erzählerin ein Stipendium beantragen will, „in der Ersten Welt, in Holland.“ Dazu benötigt sie eine Urkunde, die ihr ihre Schwester schicken müsste. Aber auch die Schwester ist unzuverlässig. Die will ihr gerne, wie immer, einen Gefallen erweisen, „den sie dann später vergisst. Ein Teil ihrer Rolle der großen Schwester besteht darin, mir diese enthusiastische, aber luftige Sicherheit zu vermitteln“, fügt die Erzählerin an. Es ist eine vertrackte psychologische Situation. „Nach Jahren der Abwesenheit besteht die sicherste Strategie zur Erhaltung der Harmonie in unserer wechselhaften Beziehung darin, so zu tun, als gäbe es zwischen ihr und mir keine größeren Unterschiede. Es geht darum, uns zu neutralisieren.“

Ihr Geld verdient die Erzählerin mit Marketing-Texten zu Werbe-Bildern. Von den beworbenen Produkten nimmt sie kaum Kenntnis. Wofür sie sich bezahlen lässt, sind ihr Einfallsreichtum und ihre Fantasie. Und bei der Bewerbung in Holland geht es genau darum: um das Schreiben und die Empfindungen dabei. Doch anstelle eines passenden Textes kommen ihr Zweifel, ob das alles nicht bloß eine weitere Fluchtstrategie ist. Also die Fortsetzung ihres Verhältnisses zur Familie. Das einzige Wesen ihres Vertrauens ist eine streunende Katze, die immer wieder zu ihr auf den Balkon kommt. Vertrauen hat sie außerdem noch in Axel, ihren Freund, bei dem sie sich sicher fühlt. Die teilweise parallelen Beziehungen, die sie bisher gepflegt hatte, hat sie für Axel abgebrochen.

Dann schiebt ihr der Hausmeister ein sperriges Riesenpaket zur Wohnungstür herein. Die Erzählerin bekommt die Kiste mit dem Messer nicht auf und bittet Axel, mit einem langen Schlitz-Schraubenzieher zu kommen. Doch am nächsten Tag hat sich das Paket offenbar von selbst geöffnet: In der Küche steht die Mutter. Zuerst traut die Erzählerin ihren Augen nicht, schaltet das Licht aus und wieder ein, doch es ist so: In dem Paket kam ihre Mutter in ihre Wohnung. Das, was sie am meisten von sich fernhalten wollte. So wird dieser Roman zu einer psychologischen Parabel, wie das trojanische Pferd - ein Paket, das größer ist als die Pakete der Schwester und das ihr ihr Unglück frei Haus hereinbringt. Die Erzählerin fängt ihre Niedergeschlagenheit auf in einfache, handfeste Handlungen und in kurze Sätze, Aussagen der Selbstvergewisserung. Lebensregeln, die vielleicht für den Alltag eines normalen Menschen unwichtig sind, die hier aber die Bedeutung einer seelischen Stütze zu haben scheinen. Doch aus ihrer Situation befreien kann sie sich nicht. So würde das Buch offen und unbestimmt enden. Aber dann gibt es Ärger in dem Mehrfamilienhaus, in dem sie lebt. Die Katze hat auf den Balkonen tote Vögel abgelegt. Aber eine Nachbarin beschuldigt die Erzählerin. Die ganze Hausgemeinschaft gerät in Aufruhr, alle gegen eine. Was beim Lesen dieses Buchs fesselt, ist die Lakonie, die Bestimmtheit, mit der Robayo ihre Hauptfigur ihr Schicksal hinnehmen lässt. Sie hat ihre Emotionen so weit heruntergedimmt, dass nichts ihr wirklich was anhaben kann - oder vielleicht doch?

ISBN 978-3-423-28395-3

https://www.dtv.de/buch/das-paket-28395