, Vladimir Jabotinsky Die fünf, Roman aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt
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In Mittelpunkt steht die Familie Milgrom, Angehörige der jüdischen Bevölkerung von Odessa um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Der Erzähler ist Journalist, er gehört zu den Freunden der Milgroms, die ein generös offenes Haus halten, viele Gäste bewirten und durch ihre fünf Kinder einen dementsprechend weiten Fächer von Besuchern haben. Besonders angetan haben es ihm Serjosha, Lika und Marussja, die älteste Tochter, deren Charme und Schönheit alle bezaubert, die verführerisch ist, sich dann kokett verweigert und schließlich auf dem Land eine Familie hat und einen Mann, der ihre Eskapaden duldet, und die unter unglücklichen zufälligen Umstanden ihr Leben verliert.

Serjosha hat es dem Erzähler wie so vielen anderen durch seine spielerische elegante Unverfrorenheit angetan. Auf jeden, der ihm über den Weg läuft, macht er einen frechen Reim, er betrügt gekonnt beim Spiel und wird eines Tages von einem betrogenen Ehemann in flagranti ertappt und mit Säure verletzt. Lika ist die Unnahbare, sie schließt sich den Sozialrevolutionären an, wird in falscher Identität zu einer Agentin, die sich mit einem Doppel-Agenten liiert und ihn dann auffliegen lässt. Sie ist schön und kalt und grausam, und wenn sie  den Erzähler in Petersburg oder Odessa zufällig trifft, dann lässt sich nicht mehr anmerken, dass sie ihn kennt.
Wie abgeschlossen diese jüdische Welt Odessas ist, wird an dem Abend spürbar, als 1905 ein Generalstreik losbricht und zugleich auf dem Panzerkreuzer Potemkin die Matrosen meutern. Der Erzähler und seine Freunde beobachten das Geschehen von einem Steilhang der Uferböschung aus, sie picknicken dabei und registrieren, dass da unten ein Aufstand stattfindet. „Noch einmal verstummte die Menge für einen Augenblick, als von unten und von links, ganz in der Nähe, stakkatoartig die ersten Schüsse knatterten; aber nur für einen Augenblick, dann lärmten alle lebhaft und fröhlich weiter“, als sei das alles ganz fern und betreffe sie gar nicht. Damit korrespondiert, wie sich die Freunde und Bekannten des Erzählers gegen die Diskriminierung und gegen die systematische Zurücksetzung der Juden zu wehren haben, indem sie z. B. eine Universität besuchen, die auch Juden als Studenten zulässt.
Jabotinsky erzählt aus einer schon zur Zeit der Niederschrift versunkenen Welt, der er teils nachtrauert, deren Protagonisten ihm lieb waren und an die er sich mit Wehmut erinnert. Er ist sich des Wandels der Zeiten bewusst und ist auch unschlüssig, ob die Emanzipation und der Aufstieg bisheriger Randgruppen, hier der Juden, nicht auch ein Vorteil ist. Er regt seine Leser an, indem er sich nicht immer sicher präsentiert. Einmal fügt er, mit dem Spielwitz eines Lawrence Sterne, ein Kapitel ein, das „nicht für den Leser bestimmt“ sei – ja für wen denn?
Man muss ja nichts wissen von den Milgroms, Odessa sieht heute bestimmt ganz anders aus, wichtig ist dies Buch vielleicht nicht, aber es ist durch seinen abwechslungsreichen Erzählduktus, durch die Sprache (für uns: des Übersetzers), durch den Charme des Erzählens und der Personen, von denen erzählt wird, ein großer Gewinn.

ISBN: 9783847703365

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