, Hélène Grémillon Das geheime Prinzip der Liebe aus dem Französischen von Claudia Steinitz
Hoffmann und Campe

Romane zu dem Thema einer verborgenen Herkunft, unbekannter Eltern oder einer insgeheimen Mutter gibt es immer wieder, aber hier haben wir es mit einem raffiniert konstruierten Roman zu tun, dessen Autorin auch die vertracktesten Beweggründe des Menschen zu kennen scheint und dies gekonnt einsetzt für die Geschichte, die sie uns erzählt. Paris 1975, im Mittelpunkt steht eine Frau, Camille Werner, Lektorin in einem Verlag, die mysteriöse Briefe erhält, deren Sinn sie zunächst nicht erkennen kann. Ein frustrierter Autor, dessen Manuskript abgelehnt wurde? Ein glückloser Verehrer? Es beginnt, nachdem ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. Unter den Kondolenz-Briefen fällt ihr schon einer von außen auf, dicker und schwerer als die anderen, der keine Absenderangabe trägt. Diese Briefe erzählen von der unschuldigen Liebe eines Zwölfjährigen, Louis, dessen Vater Arzt ist und dessen Mutter im Dorf den Kurzwarenladen betreibt, zu einer Zehnjährigen, Annie, deren Eltern schon sehr alt sind. Camille hält diese Briefe für einen Irrtum.

Ein Ehepaar, junge reiche Erben, ziehen 1938 in das Dorf, freunden sich mit der zehn Jahre jüngeren Annie an, und da sie – aus welchen Gründen auch immer – keine Kinder bekommen, schmieden sie mit ihr den Plan, Annie solle ein Kind des Mannes austragen, das dann als das der Frau M. gelten würde. Annie erzählt diese Geschichte später dem Autor der Briefe, der aber nur reagiert wie ein gekränkter Verehrer – wie er schließlich im Brief zugibt. Annie muss nach Paris ziehen, um die Schwangerschaft geheim zu halten, und was sie dort durchlebt, wird wie eine Gefangenschaft. Der Niederkunft im Mai 1940 folgen zwei Desaster: Frau M. entreißt Annie ihr Kind, Louise, und treibt Annie aus der Wohnung, zugleich marschieren die Deutschen in Paris ein. Camille fängt schließlich an, die Eckdaten Louises mit ihren eigenen zu vergleichen, und entdeckt, dass sie die ganze Zeit von ihrem eigenen familiären Hintergrund gelesen hat. Was ihr zunächst ein Rätsel war, wird nun mit aller Brutalität aufgeklärt, schließlich erhält sie sogar die Version der Frau M. zu lesen, der Frau, die sie für ihre Mutter gehalten hatte. Es ist eine scheinbar einfach nacherzählbare Geschichte, vertrackt, voll psychologischer Falltüren und bis zum letzten Satz spannend. Dazu anrührend, ohne sentimental zu werden, denn dazu ist der Aufbau viel zu raffiniert.

ISBN: 978-3-455-40096-0

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