Judith KuckartWünscheDumont-Verlag
Eine Frau bricht aus, ein Mann setzt sich ab – das ist ein etabliertes
Thema, und doch bietet es mit jeder Generation neue Möglichkeiten: Je
nachdem, wie die Position der Frau oder des Mannes ist, je nachdem,
welches Modell, welche Lösung der Autor für seinen Helden bereithält.
Vera kam als Pflegekind in das Haus, in dem sie immer noch lebt. Ihr
Pflegevater hat sie, nachdem seine Frau gestorben war, geheiratet und
sogar einen Sohn mit ihr. Vera war in ihrer Umgebung stets etwas
Besonderes, in einem Film hatte sie als Jugendliche einmal einen
Auftritt, dessen Ruhm ihr über die Jahre erhalten geblieben ist, ohne
dass sie jemals wieder geschauspielert hätte. So etwas geht nur in einer
Kleinstadt mit festgefügter Struktur der Milieus. Vera fasziniert bis
heute. Sie ist das Gravitationszentrum einer provinziellen
Freundesgruppe, und als sie einen unerwarteten Schritt tut, geraten die
Trabanten ganz aus der Bahn: Am Tag ihres 46. Geburtstags, lässt sie
sich in der Badeanstalt unter dem Vorwand, sie habe den Schlüssel
verloren, den Spind einer anderen Frau öffnen, deren Kleiderstil und
-größe ihr gemäß erscheinen, während sich die tatsächliche Besitzerin
bereits im Becken tummelt. Vera bricht auf, um eine Reise ihrer Jugend
zu wiederholen, nach der ihr Leben, damals, anders hätte verlaufen
können.
Das komplette Interview Irina LiebmannDrei Schritte nach RusslandBerlin Verlag
Als Kleinkind zog Irina Liebmann mit ihrer Mutter nach Berlin, DDR.
Anfang der 1980er Jahre verließ sie auch die DDR und zog in den Westen
von Berlin. Seit den 1980er Jahren ist sie als Schriftstellerin tätig,
zunächst in der DDR, recht bald aber auch im Westen. Neben Romanen,
Geschichten und Kinderbüchern hat sie auch „dokumentarische
Erzählungen“ („Berliner Mietshaus“, 1982) und ähnliche
Texte veröffentlicht, die immer von einer gewissen ungeschützten
Subjektivität sind, lebhaft, fast als wären sie Sammlungen spontaner
Äußerungen. Jetzt hat sie den Bericht einer Reise veröffentlicht, die
sie unlängst nach Russland unternommen hat, nachdem sie lange nicht mehr
in ihr Geburtsland gefahren war. „Ich wollte wissen, was Russland
ist. Ich kannte nur die Sowjetunion“ ist der Leitsatz, dem sie
folgt, und anhand dessen sie uns durch das Russland unserer Tage führt.
Und wie schon in ihren früheren Texten erzählt sie auch hier direkt und
subjektiv, wie sie das heutige Russland erlebt hat.
Den Auftakt stellt sie allerdings unter den Eindruck, dass die Russen
sich irritiert mit der Frage beschäftigen, was sich verändert habe in
ihrem Land, was eigentlich passiert ist mit ihrer Gesellschaft, wie das
gekommen sei, und wann –
Was ist denn das für eine Art Ratlosigkeit, die Sie ganz zu Anfang
benennen: Suchen die Russen nach Erkenntnis, was sich bei ihnen
verändert hat? Haben Sie es herausgefunden?
Das komplette Interview