
Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Aufschlussreich für das Verständnis von Echenoz’ Vorgehensweise ist sein
Hinweis auf Marcel Schwobs „Vies imaginaires“, und dort steht in der
Préface: „Leider haben sich die Biographen gemeinhin für Historiker
gehalten. Und haben uns auf diese Weise großartige Portraits vorenthalten.
Sie haben gemeint, uns könnte nur das Leben großer Leute interessieren. Der
Kunst sind solche Gedankengänge fern. In den Augen des Malers hat Cranachs
Portrait eines Unbekannten so viel Wert wie das von Eramus. Es ist nicht
dank des Namens Erasmus, dass dies Portrait unnachahmlich ist. Die Kunst des
Biographen wäre doch, dem Leben eines armen Schauspielers soviel Wert zu
verleihen wie dem von Shakespeares. Es ist ein niedriger Beweggrund, der uns
mit Vergnügen die Verkürzung des sternocleidomastoiden Muskels bei der Büste
Alexanders, oder die Locke auf der Stirn im Portrait Napoleons bemerken
lässt. … man muss doch nicht bis ins Kleinste die Größten ihrer Zeit
beschreiben, oder die Eigenschaften der Berühmtesten der Vergangenheit,
sondern mit derselben Sorgfalt einzigartige menschliche Existenzen
beschreiben, seien göttlich, mittelmäßig oder verbrecherisch gewesen.“
Werden wir jetzt noch mehr solche Romane zu lesen bekommen, in denen Personen der Historie auftreten?
Es ist ein schmaler, feiner, witziger Roman geworden, der sicherlich nicht
einfach zu übersetzen war. Denn Echenoz erlaubt sich sprachlich und
grammatikalisch alles, Neologismen, Umgangssprache und umgangssprachlich
gebrochene Syntax, die abkürzende Sprache jugendlicher
Spontan-Unterhaltungen: Alles ist ihm recht als Mittel, seine Leser zu
überraschen und, sie mit dieser Überraschung, der unerwarteten Wendung, zu
amüsieren – sprachlich, inhaltlich, einfach so.
Wer seine Freude an schöner Literatur hat, der wird sie auch hier haben, wie
bei der Mehrzahl von Echenoz’ Romanen.
ISBN-13: 9783827008633
http://www.berlinverlag.de/bucher/bucherDetails.asp?isbn=9783827008633