Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2023 160 Seiten
Guter Betrug ist Kunst, gute Kunst aber manchmal Betrug - dieses freche Statement ist das Fazit eines weiteren literarischen Schelmenstreichs der Argentinierin María Gainza.
In einem Interview hat María Gainza schon vor Langem angedeutet, dass ihr besonderes Interesse Autoren gilt, die nach realen Personen und aus deren historischem Leben eigene Geschichten machen. Sie nennt Eduard Mörikes „Mozart auf der Reise nach Prag“, Georg Büchners „Lenz“ und als Beispiel aus der zeitgenössischen Literatur die drei biografischen Romane von Jean Echenoz. Vor ihr haben das schon Marcel Schwob mit „Imaginäre Lebensläufe“ oder Wolfgang Hildesheimer mit „Marbot“ unternommen. Jetzt hat Gainza das ebenfalls gemacht: Sie hat sich für die Biographie einer obskuren Bilderfälscherin entschieden, und auch darin hat sie Vorläufer wie Adolf Muschg, der aus den Aktivitäten des berühmten Vermeer-Fälschers Han van Meegerens einen Vampir-Roman konstruiert hat. Muschgs Figur empfand sich selbst als verkanntes Genie, María Gainzas Fälscherin will bloß ihren Lebensunterhalt verdienen.
Wo andere womöglich ein Anliegen haben oder eine Art alternative Geschichtsschreibung präsentieren, agiert Gainza ironisch und verspielt und verwendet aus den weitverzweigten Labyrinthen ihrer offenbar reichhaltigen Erinnerung an Lektüren und Erlebnisse alles, was sich für so einen geheimnisvoll-lustigen Lebenslauf benutzen lässt. Zum Beispiel der Hinweis auf Daniel Defoes „Glück und Unglück der berühmten Moll Flanders“, die angeblich authentischen Erinnerungen einer bekehrten Sünderin. Dabei hat die Autorin achtgegeben, dass niemand meint, sie selber habe irgendetwas damit zu tun: Sie schickt eine Erzählerin vor, die sich als abgebrühte Kunstkritikerin des Lokalteils eines argentinischen Tagblatts präsentiert, wo sie rausflog, weil sie zu oft krank war, dann wieder hereindurfte, weil ihr langweiliger Nachfolger lieber Kurator werden wollte. Womit Gainza dem Kunstbetrieb einen Seitenhieb versetzt: Wer bei Kunst nach Sicherheit sucht, ist am falschen Ort. Das führt sie exemplarisch vor anhand der ersten Heldin ihres Romans, Enriqueta Macedo. Die hat daraus ein besonderes Geschäft gemacht: Als hochgeachtete Kunstkennerin arbeitet sie im Taxierungsbüro der Kreditabteilung einer Bank, wo Bilder als Sicherheiten eingeliefert werden - und erklärt Fälschungen für echt. Natürlich spielt Geld eine Rolle wie vormals bei Werner Spies und den Beltracchis. Enriquetas Komplizin ist eine Malerin namens La Negra. „Aber ist Unaufrichtigkeit etwas so Entsetzliches? >Ich denke nicht<, hat Oscar Wilde gesagt“, weiß die zweite Heldin des Buchs, die Erzählerin, die einen Job als Enriquetas Assistentin antritt und bald in deren Geschäfte eingeweiht wird. Die Haltung der Fälscherin färbt ab: Ob die Zitate und Aphorismen, mit denen sie ihr Auftreten aufpolstert, überhaupt echt sind oder erfunden, spielt schon bald keine Rolle mehr, und überhaupt: „Als wäre die Wahrheit etwas ganz Besonderes und Großartiges und nicht einfach nur eine gut erzählte Geschichte.“
Dann stirbt Enriqueta, doch die Erzählerin mag von der Sache noch nicht lassen und beginnt eine umfassende Recherche nach der Identität der Negra, die sie durch die Halbwelt des Kunstbetriebs führt, wo Galeristen und windige Zwischenhändler, erfolglose Maler und gewitzte Taugenichtse eine Bohème bilden, wie sie es jederzeit in den Metropolen gab und gibt. Das Objekt der Fälschungen sind die Bilder der Mariette Lydis, einer unkonventionellen Portraitmalerin, 1887 bei Wien geboren, 1940 als Flüchtling in Buenos Aires angekommen und 1970 dort gestorben, deren Bilder sich als Werke einer Dame der Gesellschaft gut machen in den Salons der gehobenen Klasse und deshalb einen festen Marktwert haben. Der Betrug fliegt auf, als ein Käufer dieser Bilder einen Kredit bekommen will, und seine Bilder als Sicherheit, da gefälscht, abgewiesen werden. Enriqueta ist eben nicht mehr da.
Bis hierhin wäre das schon an sich eine schöne Geschichte. Bei dieser Autorin bleibt es aber nicht dabei. Das liegt an ihrer Sprache und nicht zuletzt an ihrem Tonfall: „Erwarten Sie keine Namen, Zahlen, Daten. Alles Solide entzieht sich mir. Was bleibt ist nichts als eine vage Atmosphäre.“ So war es vielleicht das unscharfe Foto einer Frau in den 1960er Jahren, das sie veranlasst hat, sich eine biografische Recherche auszudenken und von den Besuchen vermeintlicher Bekannter der Negra zu berichten, allesamt mehr oder minder schräge Vögel, unter denen ein „mediumistischer Maler“ hervorsticht, der in spiritistischen Séancen Bilder im Stil von Renoir und Sisley malt. Wenn erst klar ist, zu was für einem Scherz die Autorin uns einlädt, werden die Gerichtsakten um einen Fälscher- und Betrugsprozess und die blumigen Texte zu einer Auktion der getürkten Bilder zur gelungenen Parodie. „Oder war die ganze Negra ein einziger Bluff?“, fragt die Erzählerin, gibt ein Zitat von Carol Ann Duffy dazu: „Viel leichter als dein Werk/lässt sich deine Seltsamkeit verkaufen“, und schließt: „Figuren mit klar umrissener Vergangenheit, geradliniger Psyche und kohärenten Handlungen gehören zu den großen Lügen der Literatur - ich glaube, ich habe mir diese Recherche bloß ausgedacht, um mich weiter mit meiner alten Freundin Enriqueta unterhalten zu können.“ Schön und bizarr ist diese Geschichte dank dem Übersetzer auch auf deutsch. Ein glitzerndes Feuerwerk, eine Performance. Was bleibt, ist das Gefühl, daran teilgenommen zu haben. Wenn das kein Gewinn ist.
ISBN 978-3-8031-3360-1
https://www.wagenbach.de/buecher/titel/1382-schwarzlicht.html