, Antonia Baum Vollkommen leblos, bestenfalls tot Roman
Verlag Hoffmann & Campe

Gleich zu Beginn erklärt die junge Frau, die uns hier ihr verkorkstes, aus dem Gleis geratendes Leben erzählt, ihre Eltern zu Uneltern, deren gegenseitiger Hass ihr unerträglich ist. Was die Eltern ihr vorgelebt haben, empfindet sie als Lebenslüge, unter der nichts heil geblieben ist. Sie will bloß weg ins Leben und verlässt mit Schulende ihr provinzielles Dorf – aber auch in der Stadt trifft sie wieder auf Menschen, die nicht viel besser sind als die zuhause. Was eine Befreiung hätte werden können, endet als eine Art vernebelter Rausch in der Kreativ-Szene, der Unterwelt einer urbanen Boheme. Die neuen Freunde sind bloß attraktiver als die Eltern, sie sind vielleicht chic oder cool, aber sie genügen dieser Stimme nicht, die in Antonia Baums erstem Roman vom Leder zieht. Vielmehr lebt diese junge Frauen-Figur in ihrer Phantasie grobe Aggressionen aus und kapselt sich weiter ab von allen, die sich ihr zuwenden. Nichts hat Bestand vor ihr, alles ist Lug. Barocke Moral? Pose? Verzweiflung?

Wir lesen, wir hören gewissermaßen eine junge Frau, die mehr oder minder alles zunichte macht, am Ende sich selbst. Wie nihilistisch ist das?

Der Text ist geschrieben im Ton eines Wutanfalls, eines zornigen Ausrufs, dessen Faszination vor allem in seiner Intensität und seiner Wortgewalt besteht. Es ist eine Tirade gegen das konventionelle Funktionieren der Gesellschaft, gegen Regeln, die nicht mehr überprüft werden, gegen Verhältnisse, für die keiner mehr kann. Dabei analysiert sie nicht, was sie für falsch oder kaputt hält und führt auch nicht irgendwelche Beweise oder Gründe ins Feld – sie buchstabiert gewissermaßen bloß nach, was ihr als wertvoll vorgehalten oder vorgemacht wird, um es damit als absurd bloßzustellen. Nicht Argumente, sondern ätzende Nachahmung ist ihre Angriffsform.

Haben Sie sich für dies Buch, für diesen Wutschrei einer jungen Frau erst in eine besonders gereizte Stimmung gesteigert, um diesen intensiven Ton zu treffen?

Sich selbst nimmt diese Stimme keineswegs aus von dieser grundsätzlichen Ablehnung von allem und jedem. Da könnte sie bei einem Freund etwas Geborgenheit, etwas Wärme gefunden haben, aber auch das hinterfragt sie, bis nichts mehr übrig bleibt.

Manche Stich- und Schlüsselworte sind in Anführungszeichen gesetzt – „verliebt“, „Sex“, „zum ersten Mal“ – ist das Misstrauen?

Wer Bücher unbedingt einordnen will, könnte Antonia Baums Roman als einen existentialistischen Aufschrei deuten, als ein Echo Thomas Bernhards, wenn wir es hier nicht mit einer vollkommen aktuellen Sprache zu tun hätten. Das ist im Tonfall von heute verfasst, so dass der Vergleich nicht passt. Trotzdem betont Antonia Baum, wie gern sie Thomas Bernhard lese. Das kann sie tun, weil ihr Buch eine ganz andere, heutige Wucht hat, die ein nachempfundener Ton nicht entfalten könnte.

Wie lange braucht man, um sich in solch eine Haltung hineinzuversetzen? Ging das leicht vonstatten?

Nach dem Lesen dieses Buchs rechnet man eher mit einem generell ablehnenden, sperrigen und unfreundlichen Menschen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Zumindest scheint es so.

Wie fern oder nah ist Ihnen diese Stimme oder Figur?

ISBN: 978-3-455-40296-4
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