, Andrei Mihailescu Guter Mann im Mittelfeld Roman
Verlag Nagel & Kimche

Im Staub unter der Mittagshitze erstreckt sich die Straße endlos in beide Richtungen. Der Held, abgerissen, erschöpft, geschlagen, legt sich in einen schmalen Schatten, wo schon ein Straßenköter liegt. So stellt man sich vielleicht den Auftakt zu einem Western vor, es ist aber eine Szene in einem rumänischen Industriegebiet zu Zeiten des Diktators Ceaușescu. Der erschöpfte Held wird misstrauisch von den Wartenden an einer Bushaltestelle gemustert, er ist soeben von den Schlägern des Geheimdiensts ausgesetzt worden. Bisher war er ein angesehener Journalist. Was er falsch gemacht hat: Er hatte in einem Artikel die schöne Wolljacke eines Interviewpartners erwähnt. Das wurde ihm vom Redaktionsspitzel ausgelegt als Hinweis auf eine defekte Heizung. So ist Stefan Irimescu in die Mühlen der Securitate geraten, der Geheimpolizei in Ceaușescus Reich. Als er etwas später, noch immer halb benommen von der Folter, an eine Gruppe Bauarbeiter gerät, die Baumaterialien gestohlen haben und nun den Verdacht ablenken wollen, schnappen die ihn sich und prügeln ihn krankenhausreif. Aber er hat Glück: Raluca, die Architektin an der betreffenden Baustelle, zugleich die Frau eines hohen Parteibonzen, bringt Stefan in ein Krankenhaus.
Andrei Mihailescu lebt heute in Zürich. Er engagierte sich in Menschenrechtsgruppen, um etwas zu tun für die Opfer und Ausgelieferten des diktatorischen Regimes, das dort auch nach Ceaușescu noch herrschte.

Sie sind als 16-Jähriger mit Ihrem Vater aus Rumänien ausgewandert – was von dem, was Sie in Ihrem Roman erzählen, haben Sie selbst beobachtet?

Andrei Mihailescu erzählt eine Liebesgeschichte aus Zeiten der politischen Finsternis. Im Mittelpunkt steht Stefan, Journalist, der nach und nach versteht, wie das Regime, unter dem er lebt, funktioniert. Auch in Mihailescus Familie hat man Bekanntschaft mit dem Gefängnissystem Rumäniens gemacht. Als der Großvater des Autors aus der Haft zurückkam, war nicht nur er verändert: auch die Familie, wo inzwischen die Großmutter das Familienoberhaupt war und darum eine andere Struktur vorherrschte.

Sie beschreiben Stefan als einen großgewachsenen Mann. Hatten Sie da ein Vorbild?

Auf der Mitte des Buchs ist eine Art Zäsur, ein Perspektivwechsel, der die familiären Hintergründe Stefans näher zeigt. Er führt ein einfaches Leben, und seine Mutter würde ihn am liebsten hüten wie ihren einzigen Schatz.

Wie kommt es in diesem Buch, dessen Handlung Schritt für Schritt geradlinig vorangeht, zu dieser Art von Pause?

Es gibt auch in dieser allüberwachten Welt noch Nischen, wo einzelne sich freihalten und eigene Gedanken entfalten können, auch wenn sie nicht wirklich unabhängig sein können. Stefan trifft einen solchen Mann in seiner „inneren Emigration“ und kann sich mit ihm unterhalten – wegen der ewigen Abhörerei in einer schmalen Vorratskammer bei Radioklängen in maximaler Lautstärke.

Ist dieser Herr Salajan jemand wie Eginald Schlattner, der Geistliche in Siebenbürgen?

Beide Helden, Stefan und Raluca, können die Regeln der Welt, in der sie leben müssen, nicht ändern. Am Ende sind sie ein getrenntes Paar, wo der Vater des gemeinsamen Kindes zu gelegentlichen Besuchen kommen darf.

Ist das nicht sehr beiläufig als Schluss für diesen intensiven Blick in Ceaușescus rumänische Unwelt?

Durch diese Geschichte hindurch schimmert etwas ganz anderes, Grundsätzliches. Nicht nur Stefan wird klar, in was für einem schrecklichen System er leben muss, auch Raluca dämmert, dass nicht alles gut ist im Reich, in dem sie und die ihren alle Vorteile genießen, die sich die Parteioberen zuschanzen.
Aber es wird nicht jeder Aspekt der Diktatur erzählt. Mihailescu will keinen Katalog der Schrecknisse ausbreiten, obwohl manches bis heute noch nachwirkt, z. B. das Gefängnis von Pitesti, wo Gefangene zu Folterknechten deformiert wurden.

Auf manche finstere oder skandalöse Aspekte haben Sie verzichtet. Warum?

Mihailescu rührt an die Geschichte seines Landes, in dem noch immer die Funktionäre von damals ihre Wirkung haben. Andererseits ist es eine spannende, von Anfang an mitreißende Liebesgeschichte. So ist dieser Roman der gelungene Versuch, anhand einer bestimmten historischen Situation die Schwierigkeit spontaner Liebe zu schildern. Oder andersherum: Der gelungene Versuch, anhand einer spontanen und unzulässigen Liebe die unmenschliche Grausamkeit eines Systems und seiner Nutznießer zu zeigen.

ISBN 978-3-312-00669-4

http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/guter-mann-im-mittelfeld/978-3-312-00669-4/