, Zsuzsa Bánk Die hellen Tage S. Fischer

Zunächst ist es die Geschichte einer harmonischen, in sich geschlossenen Kindheit eines Mädchens, das voller Faszination von ihrer besten Freundin Aja erzählt, die mit ihrer Mutter das Leben einer Außenseiterein führt, die nach und nach integriert wird.

Was ist das für eine Ich-Erzählerin, die so wenig in Erscheinung tritt, dass man kaum weiß, wie sie heißt oder aussieht?

Ajas Vater ist ein Zirkusakrobat, der, wo er geht und steht, seine Salti, kuriosen Sprünge und Bewegungen macht. Meistens aber ist er abwesend, unterwegs mit einem Zirkus. Ajas Mutter war einmal Trapezartistin, hat aber die Zirkuswelt verlassen und lebt jetzt in einer Bruchbude am Rand eines Ortes Kirschblüt. Zu den beiden Aja und Seri, die im Garten dieses windschiefen romantischen Hauses ein idyllisches Mädchenparadies leben, kommt irgendwann Karl, dessen Mutter an den Ort gezogen ist, nachdem hier Karls jüngerer Bruder verschwunden ist. Etwas Dunkles legt sich über die Heiterkeit dieser kleinen Welt, und nach und nach erfahren wir, dass dieses Idyll nur scheinbar so friedlich ist. Aja ist ein untergeschobenes bzw geraubtes Kind, die Erzählerin hat ihren Vater kaum gekannt, weil er früh verstorben ist und außerdem noch eine zweite Frau in Rom gehabt hatte. Karls Eltern sind zu seelischen Wracks geworden über dem Verlust ihres zweiten Sohns. Im Zentrum steht Evi, Ajas Mutter. Sie strahlt mit ihrer Unbekümmertheit, ihrer einfachen Direktheit soviel Positives aus, dass sie den anderen gut tut, die sie darum auch mehr oder minder zum spirituellen Mittelpunkt ihrer Existenz machen.

Als zum Beispiel Evi endlich ihren Personalausweis bekommt, stört sie das in ihrer Planung und bemerkt, ihr sei da das Leben dazwischen gekommen – was heißt das? Gibt es so etwas bei Ihnen?

Karls Eltern berappeln sich, die Mutter der Erzählerin verwirklicht als Erbin eines Fuhrunternehmens eine Erfolgsgeschichte und nimmt sich außerdem Evis an, der sie das Lesen und Schreiben beibringt. Evi führt einen Fotoladen, nachdem sie jahrelang Putzfrau gewesen war, erhält die deutsche Staatsbürgerschaft und verkauft massenweise ihre leckeren Kuchen, die sie nach Rezepten ihrer ungarischen Heimat backt. Allein und für sich genommen ist das alles nicht so spannend bis auf die Sache mit dem geraubten Kind. Daraus allein hätte ein anderer schon einen ganzen Roman gemacht. Zsuzsa Bánk dagegen lässt diese „Tatsache“ erst irgendwo, und auch nur zögerlich und fast wie nebenher deutlich werden. Genauso ist es mit dem Unfall, als dessen Folge Aja eine verkrüppelte Hand hat. Der Text scheint so komponiert zu sein wie ein Stück minimalistischer Musik: In jeweils selten länger als 2 Seiten angelegten Textabschnitten entfaltet sich durch Aufzählungen, rhetorische Insistenzen und lange Satzkonstruktionen ein intensiver Erzählfluss, den man vergleichen könnte mit immer variierten musikalischen Mustern. Tatsächlich lässt sich nicht nacherzählen, was der Text mit uns macht: Er zieht uns mit mit seinem verführerischen Charme. Es ist die durchgearbeitete Sprache, der wir folgen wollen und die uns gar nicht einem irgendwie spannungsgeladenen Ende zuführen soll, sondern die wir an sich lesen wie die Poesie einer Brandung, die bei aller Gleichartigkeit immer wieder etwas Neues, Unerwartetes mitbringt und aufscheinen lässt – Details unbekannter Biographien, Grundsätze anderen Lebens, Spuren vergangener Ereignisse und immer mal Indizien, dass das bisher Erfahrene auch anders verstanden werden kann.

Aja ist als Kind von ihrer leiblichen Mutter zu Evi gekommen, fast ist es ein Raub. Ein anderer Schriftsteller hätte daraus einen ganzen Roman gemacht, bei ihnen ist das eingebettet in eine riesige Sprachkomposition, in der die „harten Fakten“ mit einer gewissen Beiläufigkeit auftauchen. Was hat Sie daran interessiert?

So wird dieser Roman zu einem Stück lang anhaltender Poesie, deren Tenor genauso die Sehnsucht nach einer vergangenen Kindheit sein könnte wie die Bewunderung für eine Frau, Evi, die ihr Leben immer so gestaltet hat, dass es auf alle anderen, Freunde, Bekannte, eine besondere Anziehungskraft ausüben konnte, obwohl dies Leben arm, am Rand der Gesellschaft und so wenig strukturiert war, dass selbst die Tische nicht geradestehen konnten.

ISBN: 978-3-10-005222-3
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