, Horacio Quiroga Die Wildnis des Lebens. Gesammelte Erzählungen. Ausgewählt und aus dem Spanischen übersetzt von Angelica Ammar
S. Fischer

Geboren wurde er 1878 als Sohn des argentinischen Vizekonsuls in Uruguay, lebte aber die meiste Zeit seines Lebens in Argentinien. 1936, nachdem sich ein Krebsverdacht erhärtet hatte, besuchte er noch einmal seine Tochter und nahm dann Zyanid. Damit setzte er seinem an tragischen Zwischenfällen nicht gerade armen Leben aus eigenem Willen ein Ende. Davon erzählt uns die Übersetzerin in ihrem Nachwort. Dass die Lebensumstände und Zwischenfälle, zum Beispiel, dass Quiroga als junger Mann einen Freund versehentlich erschoss, dem er bei einem Pistolenduell sekundieren sollte, einen gewissen Einfluss auf Quirogas Erzählstoffe gehabt haben, dürfen wir annehmen. Und was er da erzählt, ist alles andere als „hundert Jahre alt“ – es ist so frisch und nah, als wäre es von heute. So liest sich die Erzählung vom geschächteten Huhn wie das Szenario zu einem Horrorfilm von vier schwachsinnigen Brüdern, die an ihrer Schwester ausprobieren, was sie vorher beim Koch gesehen haben. Die Geschichte der Anaconda, die mit den Schlangen des Urwalds einen Angriff auf die Menschen unternimmt, ist dagegen harmlos. Das Besondere an Quirogas Geschichten aber sind die befremdlichen Charaktere: „In Misiones, das an einen Urwald grenzt, der sich von dort bis zum Amazonas erstreckt, finden sich eine Reihe von Typen, denen bedenkenlos alles Mögliche vorwerfen kann, nur nicht, dass sie langweilig wären.“ Zum Beispiel Juan Brown, Studienabbrecher, der irgendwo in der Provinz landet, deren Ödnis er mit Alkohol verdichtet. Dabei leistet ihm Santiago Rivet Gesellschaft, „ein perfekter Ex-Mensch, den die lezte Brandung seines Lebens nach Iviraromí gespült hatte.“ Verlorene, die eines Abends wegen Schnapsmangels zu Brennspiritus übergehen. Rivet wird daran sterben, und Browns Geleitworte: „Dreckmist von Gringo …“

Ein anderer Abenteurer ist der Wissenschaftler, der im Wahn seine geliebte und liebe Tochter erschlägt, oder der Eisenbahner, dessen geistige Selbstauflösung von innen berichtet wird. Quiroga erzählt von diesen Menschen, als hätte er sie getroffen, als gehörten sie zu seinem Umgang in der Provinz von Misiones, wohin er 1910 gezogen war. Und er spricht von ihnen, wie andere von ihrer Jugendzeit in Detmold oder Bielefeld. Das Unheimliche, das grausam Spannende an diesen Geschichten erinnert an die Magie eines Lovecraft, die verlorenen Charaktere sind Vettern der Geschichten des Chilenen Coloane – nur eben, das Quiroga zuerst da war.
Ganz zum Schluss angefügt findet sich der „Dekalog des perfekten Erzählers“, eine Art schriftstellerisches Credo, dessen beide ersten Sätze lauten: „!. Glaube an einen Meister – Poe, Maupassant, Kipling, Tschechow – wie an einen Gott.
2. Glaube daran, dass ihre Kunst einen unerreichbaren Gipfel darstellt. Träume nicht davon, ihn zu bezwingen. Bist du dazu in der Lage, wird es dir gelingen, ohne dass du es merkst.“ Was er gemerkt hat, wer weiß, aber ein Meister ist er allemal.

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