, Julian Barnes Vom Ende einer Geschichte Roman
Aus dem Englischen von Gertraude Krueger
Kiepenheuer & Witsch

Was haben wir richtig in Erinnerung, und was haben wir mit der Zeit immer mehr so zurechtgelegt, dass es für uns selbst eine stimmige Sache wird? Wann jemals sind wir genötigt, unsere verfälschenden Erinnerungen an der Realität zu messen, um festzustellen, dass wir es anders gemacht haben, als wir meinten? Julian Barnes macht daraus eine Art Novelle anhand seines Erzählers Tony, der als Rentner an eine frühere Beziehung wieder anknüpfen will und dabei feststellen muss, dass er nicht verstanden hat, was seinerzeit vor sich ging.

Dass er nichts kapiere, und noch nie etwas kapiert habe, teilt ihm Veronica mit, mit der er mal liiert war, und die sich dann mit Tonys früherem Schulfreund Adrian verband, der sich später ums Leben gebracht hat. Tony sah das mehr als einen philosophisch relevanten Vorgang an als als Tragödie.

Erst als ihm Veronicas Mutter 500 Pfund vermacht, fängt er an zu überlegen. Welche Rolle spielte Veronicas Mutter? Die hatte auch schon Tony verunsichert. Erneut verunsichert sie ihn mit ihrem Testament: Die merkwürdige Summe setzt allein durch ihre Existenz den zweiten Teil des Vermächtnisses gegenüber den Nachlassverwaltern durch, nämlich dass Tony Adrians Tagebuch erhalten soll. Doch das hat Veronica behalten, so dass Tony nur bleibt, was Veronicas Mutter über Adrian schreibt: Er sei zuletzt glücklich gewesen. Tony versucht nun in seiner Erinnerung herauszubekommen, was denn da vorgefallen sein könnte – hatte sich Adrian umgebracht, weil ein Kind unterwegs war, so wie sich damals aus diesem Grund ein Mitschüler umgebracht und bloß einen Zettel „Tut mir leid, Mama“ hinterlassen hatte? Damals hatten Tony und seine Freunde, erfüllt vom blasierten Skeptizismus verklemmter pubertärer Snobs, den Selbstmord als Verschwendung abgetan. Der neue Kontakt Tonys zu Veronica bringt seine Erinnerungen ein bißchen durcheinander. Die festgefügten Gewissheiten werden erschüttert. Als er die Kopie seines rüpeligen, obszönen und bösen Briefs wieder liest, den er Adrian als Antwort geschickt hatte, als dieser ihn von seiner Verbindung zu Veronica in Kenntnis setzte, empfindet er Reue. War es nicht wie ein Fluch gewesen, was er da abgeschickt und gleich wieder vergessen hatte? Hatte er kein Gespür für den Schaden, den er womöglich anrichtete? Diese Geschichte, die der Titel meint, ist allerdings viel später zuende, als wir meinen, wenn wir sie lesen. Am Ende können wir nur Respekt vor und Mitleid für Veronica haben, und Tony steht da vor einem Scherbenhaufen, an dem er gar nicht schuld ist, den er aber auch niemals wahrnahm, weil er, wie ihm Veronica wiederholt klar macht, nie irgendetwas kapiert habe.

ISBN: 978-3-462-04433
http://www.kiwi-verlag.de/das-programm/einzeltitel/?isbn=9783462044331