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In dieser Ausgabe von LiteraVideo: Husch Jostens Komödie von sonderlichen Helden in „Das Glück von Frau Pfeiffer“, William Boyd mit „Eine große Zeit“ über die Psychoanalyse und Wien, Christopher Kloeble mit „alles meistens sehr schnell“ über einen Sohn, der seinen Vater wie ein Kind behandeln muss, und Petur Gunnarsson mit „Ich meiner mir mich“ über eine Jugend in Island.

Husch Josten Das Glück von Frau Pfeiffer bup

Eine junge Frau in London, Lee, ist erschüttert von der Nachricht, verschiedene Energieunternehmen hätten sich zum Nutzen ihres Geschäfts daran gemacht, uralte Felsbilder australischer Eingeborener zu zerstören, und will nun ihrerseits eine Art archäologischer Feldarbeit leisten, indem sie mitschreibt, was andere Personen neben ihr im Café in ihre Mobil-Telefone sprechen. So kann sie dokumentieren, was Londoner Menschen in dieser Zeit einander mitteilen. Wenn das schon ein etwas unwahrscheinliches Weltverbesserer-Projekt ist, dann ist das die Geschichte, die sich daraus ergibt, erst recht: Als nämlich eine ältere Passantin eines Tages einen rätselhaften Ausruf ins Mobiltelephon tut und Lee den Eindruck gewinnt, jetzt dringend eingreifen zu müssen, um eine wehrlose alte Dame vor dem Verdursten zu bewahren, mobilisiert sie ihren treuen Jugend-Freund Bruno Hornyak und macht sich auf die Suche nach der eigentümlichen alten Frau Fizer, oder so ähnlich, genau verstanden hatte sie den Namen nicht.

Lee und Bruno sind zwei sonderliche Personen. Sie ist ein Wohlstandskind des ausgehenden 20. Jahrhunderts, wo Ideologien im postmodernen Diskurs der Belanglosigkeit untergegangen und Weltanschauungen in Vergessenheit geraten sind. Sie will sich dagegen behaupten und errichtet ihre Prinzipien. Als eine Folge ihrer Prinzipien kommt es zur Trennung von Herold, ihrem Mann. Noch ausgeprägter ist diese Sonderlichkeit bei Bruno, der nicht nur unfähig ist für stabile Beziehungen, er weiß nicht genau, ob er lieber Männer oder Frauen mag.

Sollten die beiden in dem Roman von vorherein so sonderlich sein?

In der alten Dame finden diese beiden eher unbestimmten Menschen ihren Meister – und am Ende sogar einen weisen Ratgeber. Aurora Pfeiffer, 99 Jahre alt, hatte Lee beobachtet, wie sie die Telefonate anderer Personen mitgeschrieben hat. Das hat ihr gefallen, und nun will sie mit Anstand und mit Lees Hilfe eine „Altlast“ loswerden, nämlich den Leichnam ihres vor Jahrzehnten gestorbenen Mannes, den sie im Keller aufbewahrt hat, statt ihn in dem Sarg zu lassen, der seinerzeit beerdigt wurde. Lee beißt prompt an, als sie ihre Haushaltshilfe, Emma, den ominösen Anruf in Lees Hörweite machen lässt.

Aber: warum ausgerechnet Lee?

Wie die Geschichte weitergeht, ist leicht zu erraten, und es endet an der französischen Mittelmeerküste, wo Bruno von einem Nenn-Onkel ein Haus geerbt hat. Das alles ist sehr schnell, wechselhaft und äußerst amüsant erzählt. Eine Komödie, wo nicht immer alles wahrscheinlich oder wahrhaftig sein muss. Vielmehr geht es um Tempo, überraschende Wendungen und erzählerischen Witz. Den hat Husch Josten allerdings zu bieten. Zum Beispiel die Suche nach der alten Dame, Frau Pfeiffer: Lee und ihr geschwisterlicher Freund Bruno durchsuchen die Telefonbücher, um diese Frau, die da alleingelassen werden soll, ausfindig zu machen. Sie suchen alle möglichen Personen dieses Namens auf und erleben das, was Umfragebeauftragte von Meinungsforschungsinstituten erleben: Ein Durcheinander unterschiedlichster Biographien und Existenzen in allen möglichen Stimmungslagen. Immerhin bringt es Bruno auf eine neue künstlerische Idee: an Serigraphien erinnernde Listen auf Leinwände zu malen.

Sind diese verschiedenen und zum Teil skurrilen Charaktere Fundstücke, gewissermaßen Recherche-Derivate Ihrer journalistischen Tätigkeit?

Lee hat bei Ihrer Suche nach dem richtigen Leben bzw. nach dem Richtigen fürs Leben einiges ausprobiert, nicht jeder dieser Versuche war erfolgreich, nicht immer war es wirklich geschickt, zum Beispiel ihre Beziehung zu einem Mann, der viel zu alt war. Pikant, dass es der Lebensgefährte von Brunos Adoptivmutter ist.

Geht es da um Liebe und Attraktion, oder wird da nur etwas getestet?

War schon Lees „Projekt“ eher abseitig, vielleicht tauglich für Konzept-Kunst, so ist Frau Pfeiffers Ansinnen erst recht unwahrscheinlich. Es ist ein Komödienstoff, den Husch Josten zu einem Roman verarbeitet hat. Die Figuren verfügen über geradezu prachtvoll verschrobene Biografien, das Spiel um Tod und verbliebenen Leichnam ist eine Gratwanderung zwischen makaber und grotesk – aber wir werden immer weiter mitgezogen in einen faszinierenden und charmanten komischen Wirbel.

ISBN 978-3862800247

http://berlinuniversitypress.de/das-programm/fruehjahr_12/das-glueck-von-frau-pfeiffer.html