, Ulf Erdmann Ziegler Nichts Weißes Suhrkamp Verlag

Nach den preisgekrönten Romanen von Ruge und Tellkamp ist dies nun mal ein Roman, der eine westdeutsche Geschichte erzählt aus einer Zeit, die als Abschnitt nach 68 und vor der Wende irgendwie bedeutungslos erschienen ist, wenn man nicht Punk und New Wave für bedeutend hält. Die Figuren sind teilweise hart an der Realität existenter Personen angelegt, wir ahnen mal Charles Wilp, den Düsseldorfer Werbe-Guru, oder Franz Greno, den Typographen der „Anderen Bibliothek“, für manch weitere Figur lässt sich sicher auch noch eine reale Person finden, wie auch eine Büro-Technik-Firma mit dem Namen International Office Machines unschwer als IBM zu identifizieren wäre. Es beginnt mit einer kleinen Siedlung in Neuss bei Düsseldorf, wo ein junges Paar seine drei Töchter und einen Sohn bekommt und aufzieht. Die älteste wird spirituell bis religiös, die zweite ist enttäuscht davon, dass sie nicht Ministrant sein darf. Sie heißt Marleen und wird den ganzen Roman lang von einer Gegebenheit zur nächsten geweht, obwohl sie seit ihrer Kindheit ein festes Lebensziel hat, nämlich eine besondere Schrift zu entwerfen, eine, die man gewissermaßen gar nicht bemerkt. Ansonsten gibt sie sich vor allem Mühe, die Welt zu verstehen –

was ist das für eine Unbestimmtheit, dass Marleen irgendwie unbeabsichtigt immer da hinkommt, wo sie dann ist?

Die Anfangsjahre ihres Studiums der Typografie an der Kunsthochschule in Kassel atmen den Muff kohlenofenbeheizter WGs der 80er Jahre, aber es ist darin auch ein Lebensgefühl, ein Suchen nach dem Richtigen im gesicherten Rahmen des von den Eltern erarbeiteten Wohlstands und Friedens. Marleen lernt hier weiter die Welt kennen, es bahnt sich ein Bildungsroman im klassischen Sinn an. Wir folgen dieser jungen Frau mit Neugierde, weil ihr Autor es versteht, sie uns nahezubringen, mit ihr mitzuerleben –

aber wäre nicht eine männliche Hauptfigur viel näherliegend gewesen?

Vielleicht liegt es an den Eltern, der Vater Werbemann, die Mutter Grafikerin, dass Marleen eine besondere Begabung hat, „dass Marleen, bei aller Strenge, ein Händchen für so etwas hatte“. Das bemerken aber erst einige Jahre später die Schweizer Top-Designer, in deren Atelier in Paris Marleen einen festen Platz erobert (ohne ihn erobern zu wollen – es ist die Begabung): „Erwünscht war eine bestimmte Mischung von Artigkeit und Rabaukentum, Analphabetismus und Bilderrausch. Man konnte sich darin nicht versenken wie in die echte Typografie, die Konstruktion von Alphabeten. Denn Logos und Signets brauchten Ideen, der Spleen war gefragt, die Montage nur noch Technik.“

wie weit lässt sich das Lebensgefühl einer Epoche, oder deren Aufbruchsstimmung, anhand ihrer Werbeästhetik darstellen?

Zugleich läuft parallel zu Marlenes Typografen-Karriere der Aufstieg des Computers als Alltagsgerät, was für das Gros der Grafiker und Typografen bedeutet, nicht mehr benötigt zu werden –

Beschreiben Sie da auch den Niedergang eines Gewerbes?

ISBN: 978-3-518-42326-4

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