
Die Darstellung dieser Nebenhandlung am Ende des Zweiten Weltkriegs, die als
Entdeckung eines Historikers geradezu sensationell wäre, fängt einigermaßen
unprätentiös an. Ein obskurer amerikanischer Filmfan und Videothek-Betreiber
hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Schauspieler Arnie Walton, der
sogar am Walk of Fame in Hollywood einen Stern hat, als alten
NS-Schauspieler mit belastender Vergangenheit zu entlarven. Als Student ist
Samuel Saunders dem Schauspieler, der zuvor als Walter Arnold in Hitlers
Deutschland Karriere gemacht hatte, auf die Schliche gekommen. Aber Saunders
gelingt es nicht, seine Entdeckung publik zu machen.
Das Buch setzt ein, als Samuel Saunders Waltons Stern mit der Spitzhacke
zertrümmern will, bzw. mit der Feststellung seiner Personalien durch eine
Polizeistreife, die ihn an seiner Tat gehindert hat. Es geht weiter mit
Auszügen aus dem Tagebuch eines anderen, an den Dreharbeiten am Obersalzberg
beteiligten Schauspielers, mit erhaltenen Ausrissen des Drehbuchs und
Fragmenten einer Abhandlung, in denen Saunders die finstere Vorgeschichte
des Hollywoodstars nachweisen will, der dieses Filmprojekt nach dem Krieg
als Akt des Widerstands und damit sich selbst als Widerständler ausgegeben
hat. Charles Lewinsky hat offensichtlich seine Freude, die Authentizität
seiner Dokumente mit Fakten-Belegen aus der Phantasie quasi wissenschaftlich
unanfechtbar zu machen.
So macht er aus seiner Invention ein literarisches Verwechslungsspiel und
lässt dabei kaum etwas aus: weder das gefundene Manuskript, noch die
Tonbandaufnahme mit der Aussage der Hauptzeugin oder amtliche Belege. Auch
ein bißchen Wikipedia ist untergebracht, damit es richtig echt aussieht.
Haben Sie, um das Dokumentarische zu verstärken, auch Artikel in Wikipedia extra kreiert?
Je öfter uns Lewinsky von der Transkription des Interviews oder von den Theorien des Studenten über die Fußnoten in den Anhang schickt, wo selbstgemachte Nachweise die Wahrheit der Geschichte des Filmteams im Schnee der Berchtesgadener Berge untermauern sollen, desto unterhaltsamer wird diese hanebüchene und liebenswert alberne Komödie vom Nazifilm, der plötzlich den Widerstand verherrlichte. Dabei geht es doch um ernste Dinge: Nur weil einer der Darsteller nach den Nazis weiter seine Karriere machen und dafür seine Biografie beschönigen will, kommt es zum Mord.
Wenn man das als Art erzählerischer Komödie begreift und die Fußnoten und die scheindokumentarischen Elemente als lustige Einlagen erkennt, dann kommt auch ein Zweifel, ob das bei diesem Thema wirklich passt?
Lewinsky fügt immer, wenn ihm danach ist, eine Fußnote oder ein Faktendetail an, um weitere Authentizität vorzugaukeln. Überwiegend charmante Regieeinfälle des Autors, die schnell als Taschenspielertricks durchschaut sind und die Komik erhöhen. Zugleich kann man dadurch dem Entstehen des Romans regelrecht zuschauen. Der Autor hat sich einen Spaß gemacht und lässt uns daran teilhaben. Dass er sich mit derlei auskennt, zeigt sein Werdegang: Zuerst beim Theater, dann in der Fernseh-Unterhaltung, unter anderem auch mit Harald Juhnke.
Das Herzstück sind die Transkriptionen eines langen Interviews mit der Schauspielerin Tiziana Adam, die 1945 als blutjunge Komparsin, aber eben als Geliebte des Regisseurs, ins Gebirge mitgenommen worden war, und die hier in einer gewissen schnoddrigen Berliner Tonart ihrem Unmut über die Welt schlechthin ausführlich Ausdruck verleiht.
Haben Sie das Berlinerisch Ihrer Heldin in Anlehnung an Ihren zeitweiligen Coautor Harald Juhnke gestaltet?
Es gibt schon Bücher, in denen nicht existente Personen in dokumentarischem Duktus vorgestellt werden, „Die Wahrheit über Arnold Hau“ von Waechter, Gernhardt und Bernstein oder „Die definitive Biographie des P.D.Q. Bach“ von Peter Schickele – jeweils ein als wissenschaftlich verkleideter Bluff mit hohem Spaßfaktor.
Haben Sie sich von anderen Original-Erfindungen der historischen Zunft inspirieren lassen?
Ein historischer Kriminalfall, eine Widerstandsschmonzette aus dem Berchtesgadener Land, ein Hollywoodstar mit braunen Flecken auf der weißen Weste – beste Zutaten zu einem literarischen Unterhaltungsprogramm erster Güte.
ISBN 978-3-312-00640-3
http://www.hanser-literaturverlage.de/buch/kastelau/978-3-312-00630-4/