, Leon de Winter Ein gutes Herz aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
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Leon de Winter ist in Holland ein berühmter Mann, und vielleicht ist es oft so, dass Berühmte zu ihrem Ruhm auch noch Neider oder Feinde bekommen, die durch ihre Gegnerschaft ein bißchen vom Ruhm abhaben wollen. Der Schriftsteller Leon de Winter hatte in Theo van Gogh einen solchen Widersacher gefunden. Aber Theo van Gogh wurde auch ohne Leon de Winter bekannt als treffsicherer Provokateur. Dann wurde er von einem Fanatiker ermordet. Jetzt hat Leon de Winter seinen gewesenen Gegner in einen Roman eingebaut. Theo van Gogh im Reich der Toten – nicht Hölle, nicht Paradies, er ist gewissermaßen beim Empfang gelandet und soll in dieser Zwischenstufe etwas tun für jemanden, der noch am Leben ist.

Dass Sie jemanden als Schutzengel in den Himmel schicken, der im Leben mit Gift gesprüht hat – das ist ein Komödienstoff, ähnlich wie Ernst Lubitschs Film “Heaven can wait”. War das so gedacht?

Erst wirkt es wie ein halb großartiger Einfall: Van Gogh, der bärbeißige Ruhestörer, darf es sich gemütlich machen als virtueller himmlischer Whiskey-Liebhaber, der seine irdischen Laster weiter pflegt und im Jenseits zu Stil macht – mit erhabenem Blick über die Welt der Menschen. So macht der Autor seinen ehemaligen Feind posthum zu einem ganz netten Menschen. Das lässt beide an der Sache gewinnen.

Ist das auch eine Methode, van Goghs Gift zu entschärfen, indem Sie ihn gewissermaßen umarmen?

Theo van Gogh hat im Eingangsbereich zwischen Himmel und Hölle einen Tutor, Jimmy, ein schwarzer amerikanischer Franziskanerpater. Und dieser gibt ihm eine Aufgabe: Theo soll einem Lebenden ein Zeichen geben, hat aber nur drei Zielpersonen zur Auswahl, darunter sein Mörder. Jimmy hatte zu Lebzeiten ein gutes Herz, das einem notorischen holländischen Gangster eingesetzt wurde, Max Kohn, der sich bei der Schwester des Franziskaners bedanken gehen will. Er will sich einsetzen für Jimmys Kinder und sie unterstützen. Darum schlägt Jimmy dem noch immer etwas grimmigen Schutzengel van Gogh den schweren Jungen aus Holland als Objekt der Betreuung vor. Und tatsächlich, der Engel wirkt, alles wird gut, fast alles.

Auch für Jimmy läuft nicht alles nach Plan, dafür aber für den Autor, der übergeordnet seine Figuren in Gang hält. Sein Roman ist frech, amüsant und verspielt. Mit Max Kohn öffnet sich ein weiterer Kreis erfundener und möglicher Personen – radikalisierte junge Marokkaner, die eine brutale Entführung inszenieren, Leon de Winters Frau Jessica Durlacher, die ihm mit einem Architekten durchgebrannt ist, schließlich der Autor selbst, der sich bewusst von seiner – nicht immer ganz freiwillig – komischen Seite zeigt: Es geht turbulent zu in diesem Roman. Eine Figur birgt mehr in sich, als dieser Roman von ihr zeigt: Sonja, ehemals eine Geliebte Jimmys und die große Liebe Kohns, der also jetzt weiter das Herz ihres Geliebten zu ihr trägt – in Sonja verdichtet sich das Potential zu einer Tragödie nach dem Vorbild der antiken Griechen.

Max Kohn, der charismatische, gewaltbereite Ganove, wird zum Helden des Romans. Und Sonja verdichtet auf sich die klassischen Zutaten einer antiken griechischen Tragödie – Wäre das ein Projekt für einen ganz anderen Roman?

In dem dramatischen Höhepunkt um die Entführung und Geiselnahme holländischer Schüler steigert sich nicht nur die Personendichte, es treten nun auch viele aktuelle und ehemalige Personen aus der holländischen Politik auf – jeder hat seine Schwächen, keiner bleibt bei de Winter ungeschoren. Das sollten wir uns mal für deutsche Verhältnisse vorstellen – unsere deutschen Politiker würden sich sofort rechtsverbindlich verwahren. Wie frei sind da die Holländer, und Humor haben sie auch.

ISBN 978-3-257-06877-1

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