Sandra entdeckt einen Zusammenhang zwischen dem historischen Giftmord und ihrem Großvater, der damals ein hoher Polizeioffizier in Rumänien war und in allerlei Affären besser Bescheid wusste als mancher Beteiligte. Je mehr gesicherte Fakten Sandra herausfindet, desto unsicherer wird ihre eigene Position.
Die Stadt Bukarest, das Leben und die Menschen dort erweisen sich als eine große Falle – hat diese Stadt etwas Monströses?
Richard Wagner stammt aus dem rumänischen Banat und gehörte zur
deutsch-sprachigen Minderheit. Eine jüngere Generation, der neben Richard
Wagner auch die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller angehört, bildete
nach dem Prager Frühling eine Gruppe von Intellektuellen, die bald ins
Visier des Geheimdienstes, der Securitate, geriet. Es wurde abgehört,
gespitzelt und verraten. Bis heute ist nicht alles heraus.
So konnte Richard Wagner seinen Romanstoff, ein faszinierendes Kompott von
Gerüchten, falschen Fakten und echten Verleumdungen, aus der eigenen
Erfahrung beziehen. Die Akten der Geheimdienstler über Richard Wagner sind
bestes Anschauungsmaterial für absurde menschliche Tätigkeiten. Zum
Beispiel, dass über ihn geschrieben wurde, während er schrieb. Fast eine
kompositorische Konstruktion, an der die strukturalistischen
Literaturtheoretiker der 1970er Jahre ihre Freunde hätten. Beim Lesen des
Romans ist davon nichts bemerkbar. Vielmehr baut sich um Sandra eine immer
dichtere Spannung auf. Ähnlich ergeht es ihrem früheren Freund aus der BRD.
Der findet nach und nach mehr über seinen Vater heraus, der ebenfalls aus
Rumänien eingereist war, nachdem er lange Zeit schuldlos in Haft gesessen
hatte.
Zusätzlich zu der irritierenden Spannung, die uns bald erfasst, bietet uns Wagners Roman einen besonderen formalen Reiz: Statt schlicht herunterzuerzählen (was leicht und lässig 600 Seiten beansprucht hätte), hat Wagner die unterschiedlichen Erzählstränge und Perspektiven zu einer einleuchtenden Komposition gebündelt. Im Ergebnis ist es ein Meisterstück.
Das Spiel mit den Perspektiven und den Sichtweisen – ist das ein Hilfsmittel, um Licht in eine dunkle und undurchsichtige Welt zu bringen?
Es zeugt von Wagners Souveränität, dass er dieses komplexe und von Natur undurchschaubare Intrigengespinst mit abgründiger Heiterkeit darstellt.
Jede neue grässliche Erkenntnis von Sandra macht die Geschichte noch ein bißchen spannender. Ihr Großvater war vor 1945 ein krasser Kommunistenjäger, und auch beim Giftmord an Lauretta ließ er seinen Einfluss spielen. Dann bringt ein neuer Giftmord Sandra ins Gefängnis. Das neue Opfer ist zugleich ihr wichtigster Geschäftspartner, ihr neuer Geliebter und der Ehemann ihrer Jugendfreundin Vicki. Im neuen Fall ist so wenig herauszufinden wie über den Giftmord an der Tango-Sängerin, die als Kommunisten-Tochter und femme fatale ihr Publikum auch ohne Gesang faszinierte, und deren Mord nie geklärt wurde, obwohl alle alles zu wissen schienen. Statt irgendeine Erklärung ihres Falles zu erhalten, muss Sandra noch erfahren, dass ihr Vater im Westen weitergespitzelt hat. Alte Strukturen überleben auch härteste Wechsel, und Mordfälle sind die Würze des Alltags. Was dient der Wahrheit, und was der Story?
Wenn es einmal heißt, man könne zwar wissen, was gut ist und was böse, die Wahrheit komme aber trotzdem nicht heraus: ist das nicht ein Aufgeben, Resignation?
Es ist das Rezept der Komödie, wo menschliche Niedertracht an ihrer Lächerlichkeit zugrunde geht und reinste Heiterkeit erzeugt. Die Form, in der das funktioniert, ist für Richard Wagner der Tango. Er unterhält uns mit einem raffinierten und durchtriebenen Komplott, immer überraschend und nie berechenbar, als hätte er an dieser untergründigen Geschichte vor allem selbst einen Höllenspaß gehabt.
Die unberechenbaren Wechsel der Perspektiven, aber auch die Wechsel der Situation, wenn sich alles plötzlich verändert – haben Sie sich dabei auch selbst überrascht? Hatten Sie Ihren Spaß dabei?
ISBN 978-3-351-03336-1
http://www.aufbau-verlag.de/index.php/beluge-mich.html