, Selva Almada Sengender Wind Roman, aus dem Spanischen von Christian Hansen
Verlag Berenberg

Eine auf das Wesentliche reduzierte Version des Abenteuer-Romans: Knapp, hart und trocken in der Sprache, in der Darstellung und in den Akten seiner Figuren, spannend in der Handlung und philosophisch in den Fragen, denen sich die Helden zu stellen haben. Im Mittelpunkt unserer Wahrnehmung stehen zwei junge Menschen, die ihre Mutter verloren haben.

Leni ist die Tochter eines charismatischen Predigers, der das Evangelium in die Pampa bringt. Sie musste aus dem Heckfenster zusehen, wie „ihre Mutter ein paar Meter hinter dem Auto herläuft, wie die Hunde, die man in den Ferien an der Straße aussetzt.“ Der Reverend hat die Mutter ausgesetzt, nimmt das Töchterchen mit und tritt auf als treusorgender Vater, den die Frau hat sitzenlassen. Auf seiner Fahrt ist er in einer Reparatur-Werkstatt gestrandet, deren Betreiber, mit Namen Brauer, „der Gringo“ ist. Er lebt allein und einsam, die Autos, die er repariert, sind Unfallfahrzeuge, manche gekauft, manche von der Polizei unter der Hand angeliefert. Sein Sohn, Tapioca, wurde von der Mutter hergebracht, weil sie ein neues Leben anfangen wollte. Seine Versuche, das Kind zu erziehen und zu bilden, haben etwas rustikal Aufrichtiges, z. B. wenn er dem Kind anhand der Landkarte die Gegenden zeigt, die die hier verendeten Autos durchfahren haben müssten, und die vermutliche Geschichte ihrer Insassen erzählt. Als Tapioca noch kleiner war, hatten in diesen Geschichten des Vaters die Insassen der Autos die Unfälle überlebt. Als es nach Meinung des Vaters Zeit wurde, Tapioca an die Härten des Lebens zu gewöhnen, gingen die Unfälle dieser Geschichten weniger glimpflich aus.

Als der Prediger mit seinem schadhaften Fahrzeug beim Gringo eintrifft, haben beide Kinder ein Stadium erreicht, in dem sie distanziert bis kritisch beobachten, was ihre Väter tun. Leni revoltiert gegen den Prediger, der sich von derart unchristlicher Härte gegenüber seiner Frau und ihrer Mutter erwiesen hat. In der Auseinandersetzung mit ihr zeigt sich sein unbeholfener Egoismus und das Geheimnis seiner Berufung: Seine eigene Mutter hatte ihn einem anderen Prediger zugeschoben, weil sie mit ihm nichts anfangen konnte. Leni und Tapioca finden in aller Schüchternheit zueinander und bilden eine Art verhaltener Schicksalsgemeinschaft. Am Ende lässt Brauer seinen Sohn mit dem Reverend ziehen, weil der ihm eine bessere Zukunft verheißt: Tapiocas reine Seele prädestiniere ihn zum großen Evangelisten. Bis es soweit ist, haben wir ein paar Stunden mit den vier Leuten, zwei Väter, eine Tochter, ein Sohn verbracht, der Gringo hat den Reverend verprügelt, der Reverend ist sich bewusst geworden, was für Schuld er auf sich geladen hat, während der Gringo philosophisch bereits mit sich im Reinen ist.

Eine kurze, knackige – schön übersetzte – Geschichte aus den Tiefen einfacher Seelen, in denen sich das Drama der Menschheit spiegelt. Ein Zufall, dass das hier ebenfalls erwähnte Buch von Roger Caillois geradezu illustriert, was für eine Welt das ist, in der dieser Roman seine Handlung hat.

ISBN 978-3-946334-04-0

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