
Enquist beschreibt sich als einen lieben Jungen, der Probleme damit hat, nur
lieb zu sein. Als Kind erfindet er sich Sünden, die er seiner Mutter
beichten kann, oder bringt als ständiger Überläufer bei Schneeballgefechten
in der Schule die Schlachtordnung durcheinander, als erwachsener Autor
verursacht er, in scheinbar vollkommener Harmlosigkeit, wirksame Skandale,
zum Beispiel mit seinen Büchern über die an Stalin ausgelieferten Litauer
oder die Verquickung von Sport und Macht, schließlich die Zeit seiner
Alkoholabhängigkeit. Den Schluss des Buchs bildet seine Überwindung des
Alkoholismus, vor dem die Mutter auch schon in „Lewis Reise“ so eindringlich
warnt. Er befreit sich davon aus eigener Kraft, durch das Schreiben.
Würden Sie, nach diesem Buch, einen bedeutenden Aspekt Ihres Lebens als einen Kampf gegen das „zu lieb sein“ bezeichnen?
Weil sein älterer Bruder gestorben war, und weil es in der Wochenstation
eine Säuglingsverwechslung gegeben hatte, plagt sich der Junge mit
Identitätsfragen und überlegt auch später immer wieder, was ihn
unterscheidet von anderen, was ihn so „anderst“ macht. So ist dies Buch
nicht nur die Lebensgeschichte des Autors Enquist, sondern auch die
Geschichte eines ewigen Zweifels. Immer wieder kommt die Frage nach der
Identität auf, und daraus entwickelt sich der Gedanke „anderst“ zu sein.
Was heißt es für Sie „anderst“ zu sein, dieses Wort, das im Text so schwedisch klingt?
Was aber dies Buch so faszinierend macht, ist dieses Suchen, dieses
unsichere, immer wieder neu ansetzende, wie Farbtupfer emotional
insistierende Wiederholen, das diese gesamte Lebensbeschreibung zu etwas
Zerbrechlichem macht, und das uns immer mehr in Bann schlägt, so dass wir
selbst anhand der Fragen und Unsicherheiten des Autors anfangen, unser
eigenes Leben in Augenschein zu nehmen, und das macht dies Buch so
bereichernd.
Und noch etwas: Früher war Enquist Hochspringer von europäischem Format.
Nach der Aufzeichnung seiner Antworten erzählte er uns, dass er sonst immer
gefragt werde, wie hoch er denn früher gesprungen sei. „Wie hoch denn?“ – „1
Meter 97“ – „Und wie groß sind Sie?“ – „1 Meter 96.“
Welches Leben möchten Sie denn?
ISBN 3-446-23270-2
http://www.hanser-verlag.de/buch.asp?isbn=978-3-446-23270-9&area=Literatur