aus dem Schwedischen von Hans-Joachim Maass
Der Ausgangspunkt ist ein Vorgang der unmittelbaren Nachkriegszeit, 1945. Angehörige der deutschen Wehrmacht hatten sich über die Ostsee auf schwedisches Territorium abgesetzt, manche von ihnen waren Balten, Männer aus Estland und Litauen, die Mehrzahl war deutsch. Diese Leute an die Sowjetunion, also an die Justiz des Kriegsgegners, auszuliefern, hieß damals, so meinte man zumindest, sie dem sicheren Tod auszuliefern. Zu dieser Ansicht neigt man auch aus heutiger Sicht. Zumindest wissen wir, dass die Kriegsgefangenschaft der Wehrmachtsangehörigen in Russland schwer war, während die, die in englische oder amerikanische Gefangenschaft kamen, einigermaßen glimpflich davongekommen sind. So möchte man zunächst meinen, Enquist habe seinerzeit, 1968, aufgedeckt, welches Unrecht das Land Schweden diesen Männern angetan hat. Aber dann kommt es vollkommen anders. Enquist hat ein Maximum an Informationen über die einzelnen Personen, über ihre Bewacher, über die Bedingungen im Lager, über die Stimmungswechsel bei den Politikern und der öffentlichen Meinung eingeholt und schafft ein ganz unerwartetes Bild. Die Deutschen hielten ihre Rangordnungen und ihr NS-ideologisches Weltbild weitgehend aufrecht, sie waren aktiv, selbstbewusst, und sie verließen sich darauf, in den schwedischen Militärs Freunde zu haben, Freunde, die auch schon während des Kriegs eher deutschfreundlich gewesen waren. Die Balten dagegen wirken in Enquists Bild eher fatalistisch, abgewandt, mutlos. Nach der Darstellung dieses Buchs mag das daran gelegen haben, dass die Balten in zu kurzen Abständen unter die Okkupation widerstreitender Mächte gekommen waren, die sie jeweils als Soldaten eingesetzt hatten. Schließlich ist Enquist ins Baltikum gefahren und hat dort Erkundigungen eingeholt über den Verbleib der Ausgelieferten. Es ergibt sich ein differenziertes Bild. Einige wurden gleich freigesetzt, andere wurden erst freigesetzt und dann wieder vor Gericht gezogen, manche verurteilt, einige von ihnen zu langen Haftstrafen, wenige zum Tod, wobei diese Todesurteile kaum vollstreckt wurden. Andererseits scheinen einige von ihnen tatsächlich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Die Anklagen wurden anscheinend in der Folge der Aufarbeitung der Archivmaterialien erhoben, also nicht pauschal. Bei seiner Einschätzung muss sich Enquist auf zeitgenössische Berichte, auf archivierte Dokumente und auf Augenzeugen stützen, deren Erinnerung mit dem Abstand von Jahrzehnten vielleicht nicht mehr sicher ist. Nicht alle sind gleich zuverlässig, so dass Enquist immer auch sich selber befragt, wie er welchen Aspekt einschätzen will. Manche der Zeugen befragt er so nachhaltig wie ein Seelsorger, und spätestens hier werden wir erinnert an die Introspektive des Autors in „Ein anderes Leben“. Aber nicht nur diese Infragestellung der eigenen Haltung, es sind vor allem die Darstellung der Recherche in ihren unterschiedlichen Facetten und dann die Ergebnisse dieser Untersuchung an sich, die dies Buch von den ausgelieferten Soldaten zu einer äußerst spannenden Lektüre werden lassen.
ISBN 978-3-446-23632-5
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